Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Freitag, 31. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (4): Vom Hoden-Baum und Wanzen



Die Avocado hat viele Namen. Neben dem lateinischen «persea americana» heisst sie auch Avocadobirne, Advokatenbirne und sogar Alligatorbirne. Die letzteren Bezeichnungen sind natürlich Verballhornungen. Avocado stammt aber vom Nahuatl-Wort «ahuacatl» ab. Das ist eine Abkürzung für «ahuacacuahatl», einen aztekischen Begriff, der «Hodenbaum» bedeutet. Die Erklärung: Avocados wachsen immer paarweise.

Keine Früchte sind so reich an Protein wie Avocados. Wenn sie reif sind, bestehen sie zu 30 Prozent aus Öl. Dazu ist zu bemerken, dass in Europa nur selten reife Avocados zu kaufen sind. Das ist an sich keine Katastgrophe, denn die Avocado reift nicht am Baum, sondern erst nachdem sie gepflückt wurde. Am besten reift sie, in Zeitungspapier gewickelt, bei Zimmertemperatur nach. Ist sie dann reif und weich, hält sie sich gut noch einige Tage im Kühlschrank. Es gibt heute etwa 500 Sorten von Avocados. Jene aus dem hiesigen Angebot stammen aber leider kaum aus Mexico, sondern meist aus Israel.

Bei einem der berühmtesten mexikanischen Gerichte, der Guacamole, schliesst sich ein Kreis: Das Wort Guacamole kommt wieder aus dem Nahuatl und ist eine Mischung aus dem «ahuacatl» und der «molli», dem Gemisch - also eine Komposition aus und mit Avocado. Und die Guacamole ist eine schöne Mischung, auch optisch, aus dem sanften Pastellgrün der Avocados, dem dunkleren Grün des Korianders und dem ruhige Rot der Tomaten. Was es sonst noch für eine klassische Guacamole braucht: fein geschnittene Zwiebeln, ebenso fein geschnittene und nicht zu scharfe Chilis sowie Salz. Diese Zutaten werden zuerst zusammen mit dem Koriander zu einer Paste verarbeitet. Dann werden die Avocados dazugedrückt. Und das heisst wirklich gedrückt, denn Avocados gehören nie und nimmer in den Mixer. Man zerdrückt sie mit einer Gabel oder einem Löffel. Zum Schluss werden die Tomaten hinzugegeben.

Die Guacamole wird in Mexiko immer frisch zubereitet und sofort nach der Zubereitung auf den Tisch gebracht, denn sie kann sich schon nach wenigen Minuten unappetitlich verfärben. Da hilft auch das Beträufeln mit Zitrone nichts. «Der Kartoffelstock wartet nicht auf den Gast, sondern der Gast auf den Kartoffelstock» hiess es beim französischen Philosophen Brillat Savarin. Dieser Satz trifft gewiss auch auf die Guacamole zu. Zur Verwendung von Zitronensaft kann im Allgemeinen gesagt werden, dass er  den Geschmack der köstlichsten Gerichte verderben kann. Das gilt im Besonderen für die Guacamole und in höchstem Masse auch für Fisch.

In Mexico geniesst man zur Guacamole natürlich Tortillas, aber auch Chicarron. Das ist knusprig gebratene Schweeinehaut, die man gern in den Avocado-Dip taucht. Sehr gut schmeckt auch die Avocadosuppe, für die jeder mexikanische ein eigenes Rezept hat. Die Avocado kann auch einen Salat verfeinern. Die mexikanische Küche verwendet ausserdem die getrockneten Blätter des Avocadobaumes als Gewürz. Dieses duftet leicht nach Anis.

Dass die Guacamole - ihres uralten Namens zum Trotz - in der heutigen Form kein Gericht sein kann, das die mexikanischen Ureinwohner zu sich nahmen, merkt man am Koriander. Dieser ist zwar charakteristisch für die mexikanische  Küche, doch als eines der ersten überhaupt von Menschen verwendeten Gewürze kam der Coriandrum Sativum erst mit den spanischen Konquistadoren in die Neue Welt. Weshalb die Einheimischen dieses Kraut so sehr in ihr Herz schlossen, ist nicht zu erklären. Gut möglich, dass die Spanier es ihnen einfach aufgedrängt hatten. Das Wort Koriander kommt aus dem Griechischen: «Koris» bedeutet Wanze. Dies macht verständlich, warum Koriander in der deutschen Sprache gern auch als Wanzendill bezeichnet wird. Die mexikanische Küche verwendet sowohl die Blätter, die Stengel und, wenn auch seltener, die Samen.

Wer keinen Koriander, Cilantro, mag, der wird Schwierigkeiten haben, sich für die mexikanische Küche zu begeistern. Wer ihn hingegen liebt, für den gibt es so paradiesische Gerichte wie den berühmten «Pescado en Cilantro». Das ist ein in Mexiko häufig servierter Fisch in Koriander, für den man einen halben Kochtopf voll Korianderblätter und -stengel braucht. Koriander sollte man mitsamt Wurzeln kaufen. Dann hält er sich länger.

Also, hier die Guacamole auch noch als Rezept:

Reicht für eine anständige Portion:
3 grosse Avocados (mind. 600 g)
2 Esslöffel fein gehackte Zwiebel (weiss)
4 Serrano-Chilies, fein gehackt
3 Esslöffel fein gehackter Korinander
etwa 150 g fein geschnittene Tomaten
Salz

Für die Dekoration:
Noch ein Teelöffel fein gehackte Zwiebel (weiss)
Noch zwei Esslöffel fein gehackter Koriander

Zwiebel, Chilies, Koriander zusammenmischen und mit Salz abschmecken.
Die Avocados halbieren, den Stein entfernen - und das Avocado-Fleisch aus den Schalen drücken. Mit einer Gabel zerdrücken (es soll kein Mus sein!), die Zwiebel-Chili-Koriander-Mischung sowie die Tomaten dazugeben. Gut durchmischen. Mit Zwiebel und Koriander dekorieren. Sofort servieren - eine Guacamole gehört auf keinen Fall in den Kühlschrank.

Speis und Trank, 30.12.2010




Frühstück:
nix

Mittagessen (office):
Callier-Branchli




Nachtessen (daheim):
eine Art Spaghetti Carbonara
grüner Salat
Prager, Grüner Veltliner Smaragd Stockkultur, 2007 - einer meiner allerliebsten Weissweine



dazwischen:
7 Espressi

abends:
der letzte Rest aus einer Flasche Auchentoshan. Der Name ist besser als der Inhalt. Dazu ein Stück Toblerone.

Donnerstag, 30. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (3): Das Gericht der Engel




Bis auf die Lycopersion pimpinellifolium, die etwa so gross ist wie eine Johannisbeere, entstammen sämtliche Tomatensorten der Art Lycopersion esculentum. Es gibt da noch den Tomatillo, Physalis ixocarpa, das wie eine kleine Tomate heisst, auch so aussieht und in der mexikanischen Küche eine wichtige Rolle spielt. Die Ähnlichkeit der Bezeichnungen beruht allerdings darauf, dass die spanischen Konquistadoren (einmal mehr) nicht richtig zuhörten, was ihnen die Azteken zu sagen hatten: die bezeichneten die Tomate nämlich als «tomatl», den Tomatillo aber als «miltomatl».

Der Tomatillo, dem man aus unerfindlichen Gründen auch Schalentomate sagt, entfaltet sein Aroma erst im gegarten Zustand, dann ist sein Geschmack frischer, zitroniger als der einer Tomate - man verwendet ihn deswegen auch hauptsähclich für Saucen. Mehr gibt es zum Tomatillo nicht zu schreiben.; über die Tomate dagegen wurden schon diverse Bücher verfasst, was durchaus Sinn macht, denn allein schon die Geschichte, bis der Tomate ausserhalb von Lateinamerika endlich die Achtung entgegen gebracht wurde, die sie auch verdient, liest sich wie ein Roman. Die schönste Ode an die Tomate, die hat der Chilene Pablo Neruda verfasst; so recht trauen wir ihm aber nicht, denn er hat auch eine Ode an die Pommes frites geschrieben.

Zurück zur Geschichte. Früher sahen Tomaten nämlich ganz anders aus. Die glatthäutigen Exemplare, wie wir sie kennen und wie sie auch in der mexikanischen Küche verwendet werden, gibt es erst seit 1723. Gezüchtet hat sie ein Italiener, selbstverständlich musste es ein Italiener sein, denn die Italiener haben als einzige Europäer schon früh erkannt, welchen Schatz sie da vor sich haben. Ausserhalb von Mexiko und Italien werden Tomaten nämlich erst seit dem 20. Jahrhundert in grösseren Mengen verspiesen. Und die beiden Länder, deren Küche so stark von der Tomate beeinflusst ist (und die auch die gleichen Landesfarben haben), gehören nicht einmal zu den wichtigsten Produzenten, diese Rangliste führen die Chinesen an, wieder einmal sie, mit grossem Abstand. Es folgen die Amerikaner, Indien, Ägypten und die Türkei.

Es sollen hier ja keine Vorurteile gewälzt werden, aber China, Amerika, Indien, nun, das tut der Tomate per se nicht gut. Doch es gibt seit einigen Jahren auch wieder Lebenszeichen der schmackhaften Tomate, die nicht einfach ein rotes Ding ist, das zwar eine schöne Farbe, aber keinen Geschmack hat. Auch in Mexiko kommt man wieder zurück zu den einheimischen Gewächsen, besonders gut m Geschmack ist die winzige Cuatomate. Meist werden in der Küche aber die länglichen Jitomates Guajes sowie die grossen, runden Tomates de Bola verwendet. Eine typisch mexikanische Eigenheit ist auch, dass rote und grüne Tomaten zusammengekocht werden, damit die Sauce nicht zu süss wird.

Für eines der berühmtesten mexikanischen Gerichte, Mole, sind die Tomaten wesentlich. Den Mole - das Wort kommt aus dem Nahuatl, «molli», und bedeutet ganz einfach: ein Gemisch - gibt es in den verschiedensten Varianten (berühmt etwa: Guacamole), prinzipiell ist es einfach eine dicke, würzige Sauce. Einige dieser Saucen verdanken ihre Berühmtheit nicht der Tomate, sondern der Beimischung von - Schokolade.

El Mole Poblano, ein mexikanisches Nationalgericht, die wahre Herausforderung an eine jede Köchin, soll von einer Schwester Andrea erfunden worden sein, die dem Bischof bei einem Besuch des Konvents von Santa Rosa ein ganz besonderes Gericht vorsetzen wollte. Man braucht dafür neben Tomaten einen Truthahn, drei verschiedene Chilies, Rüben, viel Knoblauch und Zwiebeln, frischen Pfeffer, Koriander, Anis, Zimt, Sesam, Mandeln, Rosinen, Kürbiskerne, eine kleine Tortilla (ohne Tortilla geht in Mexiko gar nichts), getrocknetes Brot, ein wenig von der schon erwähnten Schokolade - und ganz viel Geduld. Andere Quellen sprechen davon, dass es Engel gewesen sein müssen, welche diesen Mole in seiner einmaligen Zusammensetzung kreiert haben - sicher ist nur, dass der Mole Poblano seit dem 17- Jahrhundert existiert und eine der ungewöhnlichsten Mischungen von Zutaten aus der Alten und Neuen Welt darstellt. Für den europäischen Gaumen ist das Gericht doch reichlich gewöhnungsbedürftig.

Mole de Olla, ein feines Süppchen, dem gerne auch Xoconstle, gesäuerter Thunfisch beigefügt wird, ist ein anderes berühmtes Mole-Gericht. Mole Verde verwendet Tomatillos und ist eine der eigentlich zu jeder Mahlzeit servierten Saucen.

Überhaupt die Saucen. Ohne können und wollen die Mexikaner gar nicht sein, und die meisten basieren irgendwie auf Tomaten; den Mexikaner im Ausland erkennt man daran, dass er immer eine Flasche «Valentina» dabei hat. ohne dieses scharfe Zeug kann er gar nicht überleben, würde vor lauter Heimweh umkommen, und er tropft es sich deshalb schon morgens mangels Huevos rancheros (Rührei nach Bauernart, mit jeder Menge Chilies) aufs Brötchen. Und dann ist da noch der rote Reis, bei dem die Tomaten nicht nur für die Farbe zuständig sind, den mag der Mexikaner so gerne wie der Japaner sein bleiches Korn.

Der Beginn: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (1): Das Wunder der Vielfalt
Dann: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (2): Kein Essen ohne Tortilla
Weiter: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (4): Vom Hodenbaum und Wanzen
Mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (5): Scharf ist, was zwei Mal brennt
Noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (6): Cacahuacuauhuitl?
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (7): Vom Trinken zum Essen
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (8): «Tequila ist Mexico»
Und: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (9): Die «chicas» von Ciudad de Mexico

Bruichladdich - den ganzen Tag an Schnaps denken



Nennen wir ihn doch einfach Tim. Tim heisst tatsächlich Tim, und auch sein Nachname ist uns bekannt - in Grossbritanien so bekannt, dass er hier nicht genannt werden soll. Tim also hat ein bisschen Geld; so viel Geld, dass er nicht mehr zu arbeiten braucht. Er lässt radikale Rennwagen bauen, fährt diese auch und das ziemlich gut, und er investiert ein bisschen hier und ein bisschen da. Etwa in ein bekanntes Modeunternehmen. Oder in Bruichladdich (ausgesprochen bru--ich-laddie, für Freunde einfach nur laddy), einen lange nur in Fachkreisen und unter Liebhabern bekannten, schottischen Produzenten von Single Malt Whisky.

Warum Single Malts, warum gerade Bruichladdich? Tim: «Weil sie hier spinnen. These boys are crazy, completely over the edge. Sie lieben ihren Whisky über alles, sie pflegen ihre Destillerie besser als ihre Kinder, sie denken den ganzen Tag nur an Schnaps. Deshalb ist jedes Pfund hier gut investiert.» Meet the Boys: Mark Reynier, CEO, unglaublich blaue Augen, einst ein erfolgreicher Weinhändler. Simon Coughlin, Operations Director, schon seit dem Kindergarten die rechte Hand von Mark. Jim McEwan, Production Director, eine legendäre Figur im Whiskygeschäft. Duncan McGillivray, Distillery Manager, mit einem fiesen schottischen Akzent, für den man einen Übersetzer braucht. Jim und Duncan sind wahre Schotten, kauzige, knorrige Kerle, die zwar keinen Kilt tragen, aber trotzdem ungeschminkt in «Braveheart» mitspielen könnten. Mark hat eine schottische Mutter, nur Simon kommt aus dem Ausland, sprich: London.



Ort des Treffens: Bruichladdich, ein kleines Dorf auf der schottischen Insel Islay, die zu den Hebriden-Gruppe gehört. Islay hat 3500 Einwohner, neun Destillerien (neben Bruichladdich sind das Bowmore, Laphroig, Lagavulin, Ardbeg, Caol Ila, Bunnahabhainn, Kilchoman und seit kurzem wieder Port Charlotte), etwa eine Million Schafe, Bruichladdich, das sind 20 Häuser, eine Mole, eine 1881 gegründete, 1994 geschlossene und am 19. Dezember 2000 wieder eröffnete Destillerie. Auf Islay regnet es an etwa 300 Tagen im Jahr. Wobei das auch nur ein Gerücht sein könnte, um die Ausländer vom Festland abzuschrecken.

Der vorerst letzte Teil der Geschichte von Bruichladdich beginnt eines schönen Tages im Jahr 1985, als Mark Reynier auf einer Weinmesse eine Flasche Whisky gewinnt. Die Flasche hat einen Wert von 1000 Pfund (das war damals noch viel Geld), und der Mann, der sie ausgelost hat, bietet Reynier an, sie sofort zurückzukaufen. Die beiden Herren kommen ins Gespräch, und Reynier wird zu einer Degustation eingeladen. Er versteht etwas von Alkoholika, ist Weinhändler in der dritten Generation, kann die einzelnen Lagen im Burgund und in Bordeaux unterscheiden, hat das Zeug zum «Master of Wine». Und Reynier ist beeindruckt, vor allem von den Produkten von Bruichladdich - es ist Liebe auf den ersten Schluck.



Reynier bestellt sein jährliches Quantum direkt bei der Destillerie, kommt mit den Leuten ins Gespräch, hört, dass das Geschäft nicht gut läuft. Er deponiert bei den damaligen Besitzern, the Harvey Brothers, dass er interessiert wäre, Bruichladdich zu kaufen. Das macht er in Zukunft immer am 1. Januar eines neuen Jahres, doch er bekommt nie eine Antwort. Zwischen 1992 und 1994 wechselt die Destillerie viermal den Besitzer (Invergordon, Whyte & MacKay, Jim Bean und schliesslich Fortune Brands), bis die Amerikaner beschliessen, das Haus zu schliessen.

Nun wird Mark Reynier so richtig sauer. Mark Reynier kommt schnell in Rage, und wenn sich sein zur Hälfte schottisches Gemüt erhitzt, dann beginnt er zu stottern. Stotternd erzählt er, wie er die Amerikaner mit Briefen und Anrufen bearbeitet, ihm Bruichladdich zu verkaufen. Aber erst sechs Jahre später, im Sommer 2000, sind sie bereit, die Destillerie herzugeben. Die Bedingung ist einfach: Am 19. Dezember müssen 7 Mio. Pfund auf ein Bankkonto überwiesen sein. Die hat Reynier gerade nicht flüssig, deshalb macht er sich auf die Suche nach Investoren. Und findet sie auch, etwa den schon erwähnten Tim, oder Sir John MacTaggart, einen Grossgrundbesitzer und Baulöwen (der jetzt als Chairman amtet), oder die Familie Schroeder, Privat-Bankiers, die auf Islay ein anständiges Anwesen von einigen hundert Hektaren besitzen. 45 Anleger sind es, viele von der Insel - doch am 19. Dezember um 11.55 Uhr ist das Geld noch nicht auf dem Konto. Aber wie es immer ist in solchen Geschichten: Es ging doch noch alles gut.



So gut, dass Reynier Jim McEwan überzeugen kann, für ihn zu arbeiten. Jim ist «the one» im Whiskygeschäft, er hat 38 Jahre für Bowmore gearbeitet und gilt als wahrscheinlich bester Production Director in diesem Business. Dreimal war er «Distiller of the Year», hat auf der ganzen Welt Vorträge gehalten, wird von seinen Anhängern wie ein schottischer Kriegsheld verehrt. Ihn mit an Bord zu haben, das ist so etwas wie eine Erfolgsgarantie. Jim baut sich ein Haus gleich neben der Destillerie, und er holt die besten Leute, die er kennt, etwa Duncan McGillivray, für den keinerlei technische Probleme existieren. Ein Mann wie Duncan ist immens wichtig, denn Bruichladdich wurde 1881 gebaut und destillierte seinen Schnaps bis 1994 auf den gleichen, wunderschönen, aber halt alten Anlagen. Geld für neue Bottiche oder Brenngefässe gibt es keines, die alten Maschinen und Behälter werden von Duncan restauriert.

Am 29. Mai 2001, einem Sonntag, dringt morgens um 8.26 Uhr ein Jubelschrei durch die altehrwürdigen Hallen. Zum ersten Mal fliesst farbloser, knapp 80-prozentiger Alkohol aus den kupfernen «Pot-Stills». Bruichladdich ist wieder zum Leben erwacht - und damit ein Konzept, das in der traditionsreichen schottischen Whiskyindustrie seinesgleichen sucht. Zum Beispiel: Alle verwendeten Produkte sind schottisch. Hier kann sich Reynier wieder ereifern, stolpert charmant über seine eigenen Worte: «Wir verwenden ausschliesslich Wasser von der Insel. Und wir verwenden nur schottischen Weizen. Dies im Gegensatz zu unseren Konkurrenten, die das kaufen, was sie gerade kriegen können. Was am billigsten ist.»



Wenn Reynier von der Konkurrenz redet, dann stottert er heftig. All die Multis (Diageo, Pernod-Ricard) und Massenproduzenten (Glenfiddich, etc.) sind für ihn Verräter, Betrüger, Scharlatane. Die haben alle keine Ahnung, was sie machen, ehren die Traditionen nicht, produzieren lausige Qualität, sind nur am fetten Profit interessiert. Reynier: «Ja, wir sind das «enfant terrible» der Branche». Er, halb Engländer, halb Schotte, sagt tatsächlich in bester französischer Aussprache «enfant terrible». «Aber das macht uns Spass.»

Dass dieser Spass auch schmeckt, das lässt sich unterdessen beurteilen. Seit ein paar Jahren sind die ersten «neuen» Bruichladdich auf dem Markt - mindestens sieben Jahre Fass-Lagerung sind ein Muss für einen Single Malt. Und sie sind: Rein, ehrlich, ungefiltert, ohne Zusätze, kein Karamel, keine Chemie. Wie ein Whisky halt sein soll. Sein muss, ist sich die Bruichladdich-Crew einig. Doch «echte» Bruichladdich kann man schon seit 2001 trinken. In den 7 Mio. Pfund Kaufpreis war auch ein Lager von 1,4 Mio. Litern trinkreifem Whisky inbegriffen. Aus diesen Fässern hat Jim McEwan ein Produkteprogramm zusammengestellt, das Bruichladdich 2001 und 2003 in dieser eifersüchtigen, oft missgünstigen Branche den Titel «Distillery of the Year» eingebracht hat. Die Krönung war eine Abfüllung mit 40-jährigem Single Malt. Die Flasche kostet 1000 Pfund.



Das erste Tasting findet am Morgen um neun Uhr statt. Im Gegensatz zu einer Weindegustation wird beim Whisky nicht ausgespuckt, sondern geschluckt, damit sich auch der Abgang und der Alkoholgehalt beurteilen lässt. Jim geht von Fass zu Fass im «Warehouse Nr. 2», erzählt Geschichten von längst untergegangenen Destillerien und wie er vor 42 Jahren als 15-jähriger in der Mälzerei von Bowmore angefangen und als Lohn drei leere Flaschen pro Tag erhalten hatte, erklärt den Einfluss von amerikanischen Eichenfässern auf die Entwicklung des Whisky, füllt Gläser, giesst hier ein bisschen Wasser dazu, empfiehlt da, noch ein bisschen zu warten, damit sich das Bouquet besser entfalten kann. Je jünger der Whisky, desto mehr (schottisches) Quell-Wasser; einem alten Whisky muss man dagegen Zeit geben. Als Regel darf gelten, dass man für gut eingeschenktes Glas 40-jährigen Single Malt auch 40 Minuten brauchen soll, bis man ihn getrunken hat.

Im «Warehouse Nr. 2» lagert der persönliche Schatz des Jim McEwan, einige hundert Fässer Whisky, die er für insgesamt 1 Mio. Pfund von anderen Destillerien aufgekauft hat. Ein 24-jähriger Lagavulin, der in einem alten Portwein-Fass ruht, ein 18-jähriger Auchentosian, den er für einige Monate in einem Fass gelagert hat, in dem vorher Viognier-Weisswein ausgebaut worden ist. Es ist dies der zweite Geschäftszweig von Bruichladdich, das so genannte «Ace» (Advanced Cask Enhancement). Jim gibt den Whisky in Fässer, die vorher noch niemand für die Lagerung von Whisky verwendet hat, Fässer, in denen vorher Süsswein von Château d'Yquem reifen durfte. Oder Madeira. Das gibt den exklusiven Flaschenabfüllungen einen einzigartigen Geschmack. Und oft auch einige eigenartige Farbe, wie etwa einem 20-jährigen Bruichladdich, der sich in einem Madeira-Fass schwülstig rosarot verfärbte. Die Branche lachte Jim McEwan aus, als er «Flirtation» präsentierte - die Kunden kauften die Gestelle leer, «Flirtation» (Werbespruch: «When did you have last time a flirt with a 20-year old?») ist ein Bestseller geblieben.



Die Idee verfolgte Jim schon bei Bowmore, doch jetzt bei Bruichladdich hat er dank den Beziehungen des ehemaligen Weinhändlers Reynier ganz andere Möglichkeiten. Er kommt an Fässer, von denen er vorher nur träumte. Und er kommt auch an seine Grenzen: «Ich habe schon ganze Fässer mit ausgezeichneten Produkten zu lange in einem Madeira-Fass gelagert. Das schmeckte dann fürchterlich - und lässt sich nicht mehr korrigieren». Dann zieht er ein paar Schlucke von einem Fass ab, das ihm persönlich gehört: «Lochside, 1966». Dann sagt er nichts mehr. Muss er auch nicht. Es ist - der Himmel, wie Fruchtsaft, wie Honig, wie Ambrosia. Hier braucht es kein «enhancement» mehr. Jim und alle, welche die Ehre haben, sind in Gedanken versunken.

Mark Reynier gibt zu, dass er anfangs hinter seinem «business plan» zurück lag. Aber unterdessen verdient er gut Geld. Der Überschuss wird sofort wieder investiert, man hat begonnen, auf Islay eigenen Weizen anzubauen - eine Sorte, die im 8. Jahrhundert von den Wikingern auf die Insel gebracht worden war. Geringerer Ertrag, aber halt eben das Original. Als Nächstes folgte eine eigene Mälzerei. Damit ist Bruichladdich vollkommen autark; eine eigene Abfüllerei wurde gleich zu Beginn gebaut, um die Abhängigkeiten auf ein Minimum zu beschränken. Hier beschäftigt Bruichladdich fünf einheimische Behinderte, ein sozialer Akt, wie er auf Islay einmalig ist.



In seinem schrecklich eingerichteten Büro erzählt Reynier, auf einem geblümten Sofa sitzend, wie er die schottische Whisky-Industrie retten will: «Ich kann nicht zusehen, wie die Single Malt Whisky zu reinen Marketing-Produkten verkommen». Das neuste Projekt von Bruichladdich: Da wurde gerade die Destillerie von Port Charlotte wieder zum Leben erweckt. Port Charlotte war seit 1929 nicht mehr in Betrieb. Reynier gerät wieder ins Schwärmen - doch mittlerweile ist es 17 Uhr, Reynier schenkt sich und seinem Gast reichlich vom 40-jährigen Bruichladdich ein: «Enjoy it». Er wärmt das Glas mit der Hand, steckt seine Nase tief hinein, atmet den Duft ist, und schweigt dann verzückt. Es muss Liebe sein.

Speis und Trank, 29.12.2010. Plus: Suure Mocke



Frühstück:
nix

Mittagessen (Zum Brunnen, Fraubrunnen*):
grüner Salat
Suure Mocke, Kartoffelstock
ein Bier, Mineralwasser, Espresso



Nachtessen (daheim, alle krank):
letzte Resten von svenska julbordet

dazwischen:
10 Espressi

später des Abends:
in stiller Demut eine kleine Verkostung von Bruichladdich-Whisky (davon später mehr).



* Rufibach vom «Zum Brunnen» im bernischen Fraubrunnen ist berühmt für seinen «suuren Mocken». Vielleicht ist er der beste überhaupt, den man in einem Restaurant essen kann. Auf seiner Homepage, www.suuremocke.ch, kann man auch das Rezept nachlesen. Wir zeigen es aber gerne auch hier:

Rezept für 4 Personen:
200g Röstgemüse (1/3 Zwiebeln, 1/3 Sellerie, 1/6 Rüebli, 1/6 Knobli)
1 kleiner Lauchstängel
2 Lorbeerblätter
4 Nelken
5 Wacholderbeeren, zerdrückt
10 schwarze Pefferkörner, zerdrückt
1 Rosmarinzweig
1 dl Rotweinessig
7 dl Rotwein (Dôle oder Pinot noir)
1 kg Rindsschulter (am besten von der jungen Kuh)
4 EL Olivenöl
30g Tomatenpüree
2 dl Dôle oder Pinot noir
wenig Maizena
50g eiskalte Butter
Salz, Pfeffer

Zubereitung:
Das Röstgemüse in grobe Würfel schneiden. Alle Zutaten für die Beize (bis und mit 7 dl Rotwein) in eine Schüssel geben, das Fleisch hineinlegen. Über Nacht in der Küche stehen lassen. Dann für eine Woche in den Kühlschrank stellen. Alle zwei Tage das Fleisch wenden.
Fleisch und Röstgemüse aus der Beize nehmen, sehr gut abtropfen. Marinade auf kleinem Feuer langsam aufkochen und sieben. Das Gemüse in 2 Esslöffeln Olivenöl anrösten, Tomatenpurée dazugeben und mitrösten. Mit Rotwein ablöschen, zur Hälfte einkochen lassen. Mit gesiebter Beize auffüllen, aufkochen, salzen.
Das Fleisch in heissem Olivenöl in einer Eisenpfanne rundum anbraten, in die Sauce geben und im Ofen bei 160 Grad ca. 3 bis 4 Stunden zugedeckt weich schmoren (köcheln!)
Fleisch herausnehmen, warm stellen. Sauce sieben, entfetten, auf ca. 5 dl reduzieren, mit Maizena binden, abschmecken. Vor dem servieren 50g kalte Butterwürfel in die Sauce geben, gut rühren. Fleisch in Scheiben schneiden, auf Platte oder Teller anrichten und mit Sauce übergiessen. © Alex Rufibach

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (2): Kein Essen ohne Tortilla



Mais (zea mays) ist das einzige Getreide und wohl überhaupt das einzige Nahrungsmittel vegetabilischer oder animalischer Natur, das sich nicht ohne menschliche Hilfe fortpflanzen kann - würde der Mensch nicht den Maiskolben öffnen und die Körner säen, so würde der Mais von einem Jahr zum anderen aussterben. Zwar glaubt man mittlerweile, in Mexiko eine 7000 Jahre alte Wildform des Maises gefunden zu haben, doch es bleibt ein Rätsel, wie diese Pflanze entstehen und dann auch noch überleben konnte.

Als der spanische Eroberer Cortez im November 1519 die Bekanntschaft von Moctezuma II. Xocoyotzin (ja, das ist der, der uns die berühmte Rache Montezumas geschenkt hat), kannte dieser Tortillas - genannt tlaxcalli: Mais war in Mexiko im Überfluss vorhanden und wurde sogar am Strassenrand angebaut, damit sich die Armen bedienen konnten.

Dermassen beliebt wie in Mittel- und Südamerika, wo Mais mehr noch als Kartoffeln das Grundnahrungsmittel ist, wurde Mais in anderen Gegenden der Welt allerdings nie - irische Armenhäusler revoltierten gar, als man ihnen nach der schrecklichen Kartoffelfäule 1845 Maisbrei vorsetzen wollte. Die Mexikaner dagegen können sich ein Leben ohne Mais gar nicht vorstellen: Ohne Mais keine Tortilla, und ohne Tortilla - aber wir wollen an dieser Stelle nicht spekulieren. Im Jahresschnitt isst jeder Mexikaner über 100 Kilo Tortillas. Doch damit nicht genug: In den USA sind Tortillas hinter Weissbrot das am meisten verkaufte Brotprodukt, Tendez rapide steigend. Im Jahr 2000 waren in den USA noch für knapp über 500 Mio. Dollar Tortilla-Produkte verkauft worden, 2007 belief sich das Markt-Volumen schon auf gut 2,5 Mrd. Dollar.

Die Zubereitung einer Tortilla ist ganz einfach - zumindest in der Theorie. Zuerst macht man einen Teig, indem man die Maiskörner leicht röstet und kurz in einer Lösung aus ungelöschtem Kalk und Wasser kocht. Dieser Prozess heisst Nixtamalisation, verbessert den Nährwert des Maises und macht es überhaupt möglich, dass aus diesem Teig ein Flachbrot entstehen kann (so ganz nebenbei gilt die Nixtamalisation als eine der wichtigsten Erfindungen der mesoamerikanischen Zivilisation; in Europa hat dieser Prozess bis heute keinerlei Bedeutung). Der Teig nun, Masa genannt, wird von Hand geformt, flach ausgelegt, ausgewalzt, gedrückt, wie man will, und auf einer Art Kuchenblech, am besten einer echten mexikanischen Comal, gebacken. Kleine, braune Punkte soll sie haben, schön weich soll sie sein.

Wie lange eine Tortilla gebacken wird, wieviel Wasser für die Zubereitung des Teigs benötigt wird: In Mexiko würde man sagen «lo necesario», so viel es halt braucht. Ausser in Mexiko nimmt sich niemand die Mühe, eine echte, frische Tortilla zuzubereiten, hierzulande kauft man sie im Reformhaus (und so schmeckt sie dann auch). Auch gibt es die so genannte Masa harina, eine Art Maismehl, aber mit normalem Maismehl gelingt eine Tortilla so gut wie nie, dann verwendet man besser eine Mischung aus Mais- und Weizenmehl - was kein Verbrechen gegen die mexikanische Kochkultur darstellt, im Norden des Landes werden ausgezeichnete Tortillas nur aus Weizenmehl hergestellt.

Eine besonders gute Mais-Tortilla ist fast durchsichtig, in der Provinz Oaxaca ist man besonders stolz auf die besonders dünnen Tortillas, während man sie in Guadalajara je dicker, je lieber hat. Eine Tortilla isst man auch dann, wenn man gar keinen Hunger mehr hat; sie hilft bei der Verdauung. Ausserdem kann man sie als Löffel verwenden - und wenn es schnell gehen soll, dann dient sie auch als Teller. Serviert werden Tortillas so heiss wie möglich, man hält sie im Backofen warm, und immer, zu jedem Essen, morgens schon zum Frühstück, und auch spät nachts, wenn nur noch Bier und Tequila auf dem Tisch stehen, dann stehen da auch immer Tortillas und eine scharfe Sauce.

Weil man nun aber von der Tortilla allein nicht leben kann, haben die Mexikaner noch einige Abwandlungen erfunden. Tacos sind weiche, wunderbare, gefüllte und aufgerollte Tortillas (so wird das in Mexiko verstanden; in der in unseren Breitengraden bekannteren Tex-Mex-Küche sind Tacos vertrocknete, zähe Dinger, die man in unnötig scharfe Saucen dippt). Um alles noch unklarer zu machen: In Europa nennt man die gefüllten «weichen» Tortillas meist Fajitas, in den USA heissen sie «Burrito» (was in Mexiko wieder etwas ganz anderes ist, siehe weiter unten). . Für den Mexikaner ist der Taco der Quell des Lebens, Tacos gibt es den ganzen Tag, immer, überall, der Mexikaner liebt seinen Taco, und wenn er mal seinen liebsten Strassenverkäufer gefunden hat, dann bleibt er diesem gerne sein Leben lang treu. In Mexico-Stadt isst man den Taco am liebten «con cecina» (gebratenes Rindfleisch) oder «al pastor» (eine Art Kebab), an der Küste selbstverständlich mehr mit «camarones» (fritierte Crevetten).

Werden diese Tacos dann auch noch gebraten, nennt man sie Flautas, sind sie zusätzlich mit Fleisch und Gemüse gefüllt, dann werden sie zu Burritos (siehe auch weiter oben). Quesadillas bestehen aus gefüllten, zu Halbmonden gefalteten Tortillas - und sind auch gebraten. Bestreicht man eine gebratene Tortilla mit Bohnenmus und ziert das noch mit Fleisch-, Fisch- oder Geflügelstreifen, dann erhält man Tostadas. Enchilladas schliesslich sind Tortillas, die man mit einer roten oder grünen Tomatensauce bestreicht, dann brät und mit einer Füllung aufrollt.

Ach, da hätten wir fast noch die Totopos vergessen, auch Tostaditas genannt; kleine, knusprig gebratene Stück von den Tortillas von gestern, die man in Guacamole oder ein Bohnenmus oder in eine andere der für die mexikanische Küche so elementare Salsa dippt. Ein Stück weiter noch als die Tortilla und ihre Verwandten, elaborierter sind die Tamales, süss oder scharf, die früher immer der Höhepunkt einer Fiesta waren, heute aber an jeder Strassenecke zu kaufen sind.

Der Kaiser der Brenner - ein Besuch bei Vittorio Capovilla




Wie so oft im Leben war es einfach ein Zufall. Bald 20 Jahre ist es her, als wir in der Umgebung von Bassano del Grappa einige Brenner besuchten, und da spricht man dann über dies und das und auch die Konkurrenz, und ein Name wurde immer wieder genannt: Vittorio Capovilla. Der brannte damals zwar noch keinen Grappa, doch die anderen Destillateure sprachen mit Ehrfurcht von diesem Mann, und so besuchten wir ihn auch. Das heisst, wir suchten zuerst einmal ziemlich lange, bis wir ausserhalb des Dörfchens Rosà die alte Herrschaftsvilla Ca’Dolfin fanden, und dort dann auch noch den Hinterhof, in dem Capovilla seinem damals noch winzigen Geschäft nach ging.

Die Überraschung war dann gross, denn Vittorio Capovilla gehört nicht einer der bekannten Schnaps-Familien der Umgebung an, sondern hatte lange Jahre in der Schweiz gelebt, dort Mechaniker gelernt und auch als solcher gearbeitet, ein richtiger «Secondo», den es aber dann wieder in sein Heimatland zurückgezogen hatte. In seiner winzigen Brennerei hatte er sich auf Obst-Destillate konzentriert, vor 20 Jahren ein noch sehr schwieriges Geschäft, denn Qualitätsbrände gab es kaum, obwohl das Destillieren von Obst eine sehr lange Tradition hat.



Capovilla versuchte in seinem Hinterhof das Unmögliche. Er sammelte selber die Früchte, mit denen er arbeiten wollte, wilde, winzige Pfirsiche, Brombeeren, die irgendwo in einem Wald wuchsen, Aprikosen, die er von einem Nachbarn günstig kaufen konnte. Er probierte und tüftelte, baute seine gebraucht gekaufte Anlage nach seinen eigenen Vorstellungen um, brannte zweimal, brannte dreimal, spielte mit den Temperaturen, der Dauer des Brennvorgangs, perfektionierte seine Kunst – und irgendwann war er so weit, dass er aus 30 Kilo wilden Pfirsichen einen Liter Schnaps erzeugen konnte.

Dieser hatte es aber dann in sich, nicht nur, dass er ohne Zusatz von Aromastoffen wirklich nach Pfirsichen schmeckte – man hatte sogar das Gefühl, die feinen Haare der Frucht noch im Mund zu spüren. Es waren wahre Sensationen, die Capovilla da in seine bauchigen Flaschen abfüllen konnte, seine Tochter schrieb die Etiketten von Hand, und abends verbrannte sich Vittorio noch die Hände, wenn er seine Produkte mit Siegellack verschloss. Er hatte damals noch wenig Ahnung vom Verkauf, doch er wusste, dass er seine aussergewöhnliche Produkte auch aussergewöhnlich präsentieren musste, und das schaffte er auch, ohne die Unterstützung von teuren Marketinggurus und schmierigen Werbestrategen. Teuer waren sie damals schon, die Schnäpse von Capovilla, aber wir bezahlten den Preis gern, denn die Qualität war nicht von dieser Welt.

Und doch haderte Capovilla damals mit sich selbst: er lebte da mitten im Zentrum der Grappa-Produktion, doch er kam nicht darauf, wie er selber einen dieser Trester, der seinen Vorstellungen von Qualität und Ehrlichkeit entsprach, produzieren konnte. Die Früchte, das Obst hatte er im Griff wie kein anderer, aber am eigentlich nicht so schwierigen Grappa scheiterte er. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.



Wir haben Capovilla über die Jahre immer wieder besucht. Und gesehen, wie er gewachsen ist. Wie er seine dunkle Brennerei verlassen und einen modernen Brennraum mit zwei Destillationszyklen aufbauen konnte. Wie er den Grappa in den Griff bekam. Heute brennt Capovilla nicht nur seinen eigenen, wunderbaren Trester, sondern arbeitet für viele bekannte Namen, die bei ihm brennen lassen und dann ihr eigenes Etikett auf die Flaschen kleben. Capovilla stört das nicht, er kann acht Personen beschäftigen, das ganze Jahr über, und sich weiterhin darum kümmern, was er am besten kann: die wahrscheinlich besten Obstbrände der Welt produzieren.

Das Geschäft mit diesen Schäpsen hat sich in den vergangenen Jahren entscheidend verändert. Schick sind sie geworden, die Obstbrände, aus der winzigen Nische ist ein gutes Geschäft geworden, natürlich nicht vergleichbar mit Wein oder Whisky, aber die Klientel, die das Handwerk von guten Brennern schätzt, wird beständig grosser. Andere «Wahnsinnige», etwa der Österreicher Sigi Herzog oder der Schweizer Lorenz Humbel, haben ihren Teil dazu beigetragen. Aber Capovilla ist und bleibt der «Kaiser» unter diesen «Königen», er wagt weiterhin das Unmögliche (jetzt gerade ist es ein Kastanien-Brand), er schafft eine fantastische Qualität. Vor allem, wenn er mit wild gewachsenen Früchten arbeitet, den Pfirsichen, winzigen, eigentlich ungeniessbaren Zwetschgen, den verschiedenen Beeren, da bleibt er unerreicht. Er besitzt unterdessen ein paar Hektar Land, auf denen er seine eigenen Produkte anbaut, Qualitätskontrolle sagt er dem, und seine Mitarbeiter verdrehen die Augen, denn für sie bedeutet das bedeutend mehr Arbeit, weil der Meister halt genaue Vorstellungen hat, was wie und wo angebaut und geerntet werden muss.



Es sei die Nase, sagt man. Capovilla verfüge über die «absolute» Nase. Er steckt sie beim Brennvorgang überall rein, und dann geht es um Sekunden, dann geht es um ein Grad mehr oder weniger Hitze. Vittorio, der gelernte Mechaniker, schmeckt alles persönlich ab, nur er weiss, wie lange die Möste in den Edelstahltanks und Fässern gelagert werden sollen, wann sie abgefüllt werden können, wo es Wasser braucht, wo nur Zeit und Geduld. Capovilla arbeitet unterdessen auch mit Eichenfässern, weil er in der Szene so bekannt ist, hat er die beehrten Fässer von Château d’Yquem erhalten, und das soll ein ganz besonderer Grappa werden. Noch gibt es ihn nicht zu kaufen, aber wir warten gespannt. Auch ein paar Liter Rum hat er dort gelagert, er produziert auf Guadeloupe in einer ehrwürdigen Brennerei seinen eigenen Rum, das ist sein jüngstes Projekt, und er hat viel Freude an diesem ehrlichen Produkt, an den schönen Traditionen, die dahinter stecken.

Und sein Grappa? Wir probieren ihn heuer zum ersten Mal. Und sind erstaunt: Während seine andere Produkte ganz sanft sind, fast schon lieblich, immer freundlich, nur getragen vom Charakter der verarbeiteten Früchte, ist der «Grappa del Bassano» kraftvoll, er hat eine ganz sanft rauchige Note und einen unglaublich langen Abgang, der an einen zweistündigen Spaziergang durch einen Rebberg voller reifer Trauben erinnert. Mächtig ist er, dieser Grappa, natürlich ohne Aromastoffe, und selbstverständlich perfekt gebrannt, trotz dieser Wucht ist nicht die geringste Spur von Ethanol zu schmecken. 17 Euro verlangt Capovilla für die 0,7-l-Flasche, das ist im Vergleich zu all den Designer-Grappe, die nach allem duften ausser nach Trauben, ein Schnäppchen.



Capovilla ist denn auch sehr zufrieden mit diesem Produkt, doch er bleibt deswegen nicht stehen, brennt auch sortenreine Grappe, Brunello, Barolo, von den seltenen, gelben Moscato-Trauben, von alten Varietäten, die wohl nur noch er kennt, Isabella heisst eine, Clinton eine andere. Seine Tochter, die den Laden führt, wenn der Papa grad mal wieder durch die Welt reist und Preise gewinnt, hat die Übersicht längst verloren. Aber Capovilla weiss schon, wo das Fass mit den Brombeeren steht, die er im Herbst 2002 gebrannt hat und das nun abgefüllt werden kann, in die gleichen Flaschen wie seit mehr als 20 Jahren, mit den gleichen Etiketten, die seine Tochter immer noch von Hand beschreibt.

Speis und Trank, 28.12.2010



Frühstück (daheim):
Frischer Zopf, Butter, verschiedene Konfitüren (zu Weihnachten geschenkt gekriegt, da gibt es Dinge, die machen mir weniger Freude), Käse.
Tee, Earl Grey

Mittagessen (Bussalp, ob Grindelwald):
Älpler-Maggronen
der Hauswein, so ein eher dröger Epesses

Nachtessen (daheim):
Hühnergeschnetzeltes an Curry-Soja-Sauce
Basmati-Reis
Chicoree-Salat mit Gurken und Zwiebeln
Rotwein: Bauza, Rioja, 2007

dazwischen:
ein Weidli-Kafi, eine Hausmischung von der Weidli-Bar
Appenzeller Biberli.

später des Abends:
eine kleine Verkostung von Capovilla-Bränden.

Speis und Trank, 27.12.2010




Frühstück:
Kaffee und Zigaretten.

Nachtessen (office):
Kaffee und Zigaretten.

(Nachtessen:)
Hühnergeschnetzeltes an Curry-Soja-Sauce
Basmati-Reis
grüner Salat
Rotwein: Königsegg, Blauburgunder, 2004

dazwischen:
12 Espressi

später des Abends:
einer der wunderbarsten Whisky aller Zeiten, Craigduff, 32 Years. ein Traum, fantastisch, welch Komplexität in einem solchen Getränk liegen kann.

Montag, 27. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (1): Das Wunder der Vielfalt



Wer das «Chili con carne» als Höhepunkt der mexikanischen Kochkunst betrachtet, der sieht schlecht. Das «3C» mit all seinen absonderlichen und häufig auch noch abstrusen Auswüchsen stammt aus den USA (es könnte jetzt hier auch noch geschrieben stehen: woher denn sonst?), muss einer Küche zugerechnet werden, die man «Tex Mex» nennt und in der der mexikanische Einfluss sich meist auf den Tellerwäscher beschränkt. Wer in Mexico City unbedingt ein Chili con carne essen will, der muss zuerst den Flieger nach Norden nehmen.

«Die» mexikanische Küche gibt es so wenig, wie es «die» französische Küche gibt, aber es existieren ganz viele regionale Küchen, von Jalisco, Oaxaco, Veracruz, Michoacan, Yucatan. All diese lokalen Besonderheiten sowie eine fast unvorstellbare Fülle an verschiedenen Gemüsen, Früchten und natürlich Gewürzen machen die mexikanische Küche zu einer der interessantesten der Welt; die Mexikaner haben auch, lange bevor die Franzosen überhaupt daran gedacht haben, beantragt, dass ihre Küche zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben wird. Dass wir den Mexikanern und ihren Kochkünsten nicht den gleichen exotischen Reiz zubilligen wie etwa den Thailändern oder Japanern, liegt wohl daran, dass wir Europäer die typischen Produkte viel zu gut kennen. Ein weiteres Problem ist auch, dass uns viele nur so genante mexikanische Restaurants den Geschmack verdorben haben; nicht überall, wo Mexiko draufsteht, ist auch Mexiko drin.

Mit Sicherheit hat man schon anständig gegessen und getrunken in Mexiko, bevor sich Kolumbus auf den Weg nach Indien machte. Als er und wenig später Cortez mit seinen Horden dort ankamen, assen die Mexikaner Mais, Bohnen, die Avocado genauso wie die Tomate, auch Vanille und ganz besonders Schokolade (einverstanden, nicht das süsse Zeugs, was wir heute als Schokolade kennen). Die Vielfalt war so gewaltig, dass darüber Bücher verfasst werden konnten, die «Historia plantarum novae Hispaniae» des Doktors Francisco Hernandez und der «Codex barberini» des indianischen Übersetzers Juan Badiano zeichneten über 10'000 Pflanzen auf, welche den Europäern damals nicht bekannt gewesen waren. Doch schon damals galt: kein Essen ohne Bohnen - und erst recht kein Essen ohne Tortilla.

Die wichtigste Mahlzeit in Mexiko ist das Mittagessen, das zwischen zwei und vier Uhr eingenommen wird. Die Einheimischen sind zwar Weltmeister im Naschen, Antojitos, kleine Vorspeisen, gibt es ohne Ende, doch ein anständiges Mahl besteht zuerst aus einer Suppe, dann der «trockenen Suppe» (das ist meist Reis), als Hauptgang Fisch oder Fleisch oder Huhn, immer mit Tortilla, immer mit Bohnen (die als ein gesonderter Gang gelten), dann noch ein extrem süsses Dessert. Oder Früchte. Am Morgen gibt es nicht viel, das zweite Frühstück, so um 9, 10, kann dagegen kräftig sein, Tortillas, Eier, frische Chili. Am Abend gibt es dann nicht mehr viel, meist nur das, was vom Mittagstisch übrig geblieben ist.

Die Mexikaner sind extrem stolz auf ihre Küche, und sie schreiben auch gerne darüber: Schon 1831 erschien «El Cocinero Mexicano», der eine lange Reihe von Rezeptbüchern nach sich zog (so zum Beispiel auch das verfilmte «Schäumend wie heisse Schokolade» von Laura Esquivel). Man philosophiert gerne und ausführlich über das Essen und alles, was damit zusammenhängt. «Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben», bringt die Nationalheldin Schwester Juana Ines de la Cruz diese Lebenseinstellung auf den Punkt.


Mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (2): Kein Essen ohne Tortilla
Und: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (3): Das Gericht der Engel
Mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (4): Vom Hodenbaum und Wanzen
Noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (5): Scharf ist, was zwei Mal brennt
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (6): Cacahuacuauhuitl?
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (7): Vom Trinken zum Essen
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (8): «Tequila ist Mexico»
Und: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (9): Die «chicas» von Ciudad de Mexico

Sonntag, 26. Dezember 2010

Von Fischaugen und gefrorenem Rindfleisch




Seit ich 16 bin, führe ich Tagebuch. Und das sehr akribisch. Es gibt da auch Listen, etwa von den Büchern, die ich gelesen habe, den Filmen, die ich im Kino (und neuerdings auf DVD) gesehen habe, den Hotelzimmern, in denen ich geschlafen habe. Und natürlich auch vom Essen: Ich kann zum Beispiel noch genau sagen, was ich an meinem 20. Geburtstag genossen habe. Und was an meinem 30. Geburtstag. Ich notiere allerdings unterdessen nur noch, was mir wirklich gut geschmeckt hat. Und wo und wann ich diese ganz besonderen Gerichte gegessen habe.

Eine andere Liste ist aber auch noch ganz interessant: Meine schlechtesten Mahlzeiten. Restaurants, in denen alles wirklich nur schlecht ist, Gerichte, bei denen nun wirklich gar nichts passt, Lokale, in denen Preis und Leistung in keinem Verhältnis zueinander steht. Oder auch einfach Dinge, die so richtig übel waren - manchmal auch nur deshalb, weil mir vielleicht das Verständnis dafür fehlte, etwa für die gesottenen Gänsefüsse, die einst in einem Restaurant in Peking in meiner Suppe standen. Oder die Fischaugen, die mir ebenfalls aus einer Suppe, aber diesmal in Singapur, entgegenblinzelten. Oder die gedämpften Vogelnester in Vietnam. Oder die getrockneten, auf eine Schnur aufgezogenen Eidechseneier in Kolumbien. Oder die Ameisen in Peru, die wie gesalzene Nüsse in einem Schälchen zu den Drinks serviert wurden.

Was mich aber am meisten ärgert, das ist: Lieblosigkeit. Wenn das Carpaccio schon leicht angetrocknet ist auf dem Teller, oder die Terrine so eiskalt aus dem Kühlschrank kommt, dass sie beim besten Willen keinen Geschmack entwickeln kann. Wenn die Wienerli in der berühmten Berghütte im Berner Oberland einen zweistelligen Betrag kosten, das Brot zudem von gestern ist und die Wurst schon ein paar Stunden im schmierigen Wasser gelegen hat. Wenn die Pasta wieder in ihre Bestandteile zurückverkocht ist oder der Salat hauptsächlich aus Storzen besteht.

Den Gipfel erlebte ich aber kürzlich in einem bekannten japanischen Restaurant in Düsseldorf. Wie wir erst nachträglich herausfanden, lag die gesamte Küchenbrigade krank darnieder, doch man versuchte trotzdem, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Wir hätten es schon nach den grauenhaften Vorspeisen merken müssen, dass etwas nicht stimmte, doch wir waren zu tief in ein Gespräch verstrickt, und so kamen wir in den Genuss eines Bissen tatsächlich noch tiefgefrorenen, extrem fettigen Rindfleisches in einer hochkonzentrierten Sauce, die zuerst hätte aufgekocht und verfeinert werden müssen. Die Unterhaltung brach sofort ab, und den Rest der Geschichte möchte ich Ihnen hier ersparen...

Speis und Trank, 26.12.2010




Brunch (bei der Schwägerin):
frisches Brot, so verschiedenes, Butter, verschiedene Konfitüren, Honig, gebratener Speck, 4-Minuten-Ei, Rührei, Käse-Platte, Salami, Schinken, Lachs (ich hasse Lachs).




Nachtessen (daheim):
geschnetzeltes Kalbfleisch an Rahmsauce, Rösti!
Rotwein: St.Joseph, Graves, 2004

dazwischen:
nix. hat immer noch keinen Platz.

Wunsch und Wirklichkeit




Fast hätte ich bei Euromillions gnadenlos zugeschlagen. x Millionen gewonnen. Abgeräumt. Aber eben nur: fast. Ich hab mal wieder keinen dieser Zettel ausgefüllt. Ich hab auch schon Zettel ausgefüllt, vor Jahren. Aber noch nie etwas gewonnen. Deshalb lass ich das auch bleiben, fürderhin. Manchmal aber, wenn ich an meinem Lieblingskiosk, wo ich am Morgen immer meine Zeitungen kaufe, die gewaltigen Summen sehe, die ich da absahnen könnte, da geb ich mich Tagträumen hin, was ich denn mit diesen x Millionen alles machen könnte. Zum Beispiel: endlich meine Traumküche bauen lassen.

Diese Tagträume von der perfekten Küche sind allerdings immer sehr kurz. Denn schon nach wenigen Sekunden stellt sich immer die gleiche Frage: Strom oder Gas. Ich liebe Gasherde. Weil sie halt genau das machen, was ich ihnen sage. Weil ich die Bratpfanne, in die ich mein grosses Stück Fleisch werfen will, so richtig heiss wird, fast schon glüht. Ja, ich weiss, das können moderne Induktionsdinger und die Glaskeramikteile mittlerweile auch, aber ich bin ein unglaublicher Depp in solchen Sachen, es wird schon gefährlich, wenn ich nur eine Glühbirne wechsle, und wenn ich hin und wieder bei Freunden koche, die solch einen modernen Herd haben, dann schimpfe ich mehr als dass ich brutzle. Schon das blosse Kochen von Wasser ist dann ein Krampf, weil ich immer das Gefühl habe, ich mache etwas falsch. Und dann liegt wieder ein Handtuch am falschen Ort, und dann geht gar nichts, oder ich habe den alles entscheidenden "Töggel" verlegt, als ich grad den Weisswein servierte, vielleicht in den Kühlschrank gelegt, und dann geht sowieso nichts, oder ich hatte nasse Hände, und dann reagiert das Gerät nicht. Und ich bin fassungslos.



Das ist mir also alles zu kompliziert. Wenn ich eine Gebrauchsanweisung studieren muss, um ein Gerät zu verstehen, dann lass ich es lieber bleiben. So ganz allgemein, as gilt nicht nur in der Küche, sondern auch beim Auto, der Kamera, dem DVD-Player. Deshalb will ich lieber einen Gasherd. Die sehen allerdings nicht so schön aus, und die Reinigung ist nicht ganz so einfach, und vor einem Gasofen hab ich einen Heidenrespekt. Ich benutze ja deswegen auch keinen Dampfkochtopf, weil ich richtig Angst vor diesen Dingern habe. Und eine Mikrowelle hab ich auch noch nie benutzt, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie solche Geräte funktionieren. Einen Steamer hätte ich aber gern in meiner Traumküche, und auch so einen richtig grossen Backofen, beide auf Augenhöhe. Damit ich so ein bisschen wie fernsehen kann, was da alles passiert.

Speis und Trank, 25.12.2010




Frühstück (daheim):
ausführlich, mit frischem Zopf, Butter, verschiedenen Konfitüren, Honig, Nutella, Käse-Platte, Tee.

Mittagessen (office):
Resten von svenska julbordet. vor allem: julskinka.



Nachtessen (bei meinen Eltern):
frische Fettucine mit Bärenkrebsen auf Lauch-Gemüse
Kalbs-Carré, Bratkartoffeln, zweierlei Rüben
Mango-Creme
Champagner
Weisswein: Pinot Gris, Jenins
Rotwein: Syrah aus dem Wallis



dazwischen:
nix. hat auch keinen Platz mehr.

Kommen wir zur Besinnung



Früher, einst, damals habe ich mit meinen Freunden Walter und Kaspar jeweils am 26.12. ein grobes Mahl zelebriert. Schon das Einkaufen war exzessiv, und dann kochten und (fr)assen wir von morgens um zehn bis nachts um irgendwann. Mindestens zehn Gänge, und von allem viel zu viel. Auch von den geistigen Getränken. Doch man wird ja vielleicht nicht klüger, aber immerhin älter, und als wir vor ein paar Jahren die dritte Hauptspeise nicht mehr schafften, wir früh am Nachmittag schon schwächelten, da wussten wir, dass es alles ein Ende hat und die Wurst sogar zwei.

Aber ich habe trefflichen Ersatz. Und weil meine Gattin schwedische Wurzeln hat, gibt es jetzt am 24. nicht mehr ein Gelage, sondern svenska julbordet. Da wird aber auch nicht gerade der Zurückhaltung gefrönt. Es beginnt jeweils in möglichst grosser und fröhlicher Runde schon am frühen Nachmittag, das eine oder andere Bierchen gehört dann schon dazu, und natürlich Akvavit, kleine Gläschen mit grosser Wirkung. Es wird viel und laut geredet, dauernd die Plätze getauscht. Das einzige, was mir bei diesem Fest nicht gefällt: Dass der schwedische Teil meiner Verwandt- und Bekanntschaft so sangesfreudig ist. Und dabei unglaublich ausdauernd.

Doch kommen wir endlich zum Wesentlichen. Svenska julbordet ist eine beinahe unendliche Abfolge von Köstlichkeiten - etwas, was man der schwedischen Küche ja nicht unbedingt zutrauen würde. Es beginnt mit kaltem Fisch, inlagd sill, löksill, matjessill, senapssill, sillsalad (eingelegter Hering in Varianten), lax, gravlax, laxpudding (Lachse, kalt und warm). Einer meiner Lieblinge, janssons frestelse, ein Kartoffelgratin mit Anchovis (allerdings süss-sauer mariniert), Zwiebeln, Rahm, Butter, Brösmeli. Keine Eier, sagt meine Schwiergermutter, ganz wichtig ist: keine Eier.

Wechseln wir zum Fleisch: leberpastej (das können Sie selber übersetzen), köttbullar (kennen Sie aus der Ikea, Fleischbällchen, aber wunderbar, nicht wie in Ikea), Revbensspjäll (spare ribs, im Ofen gebacken). Und schliesslich: julskinka. Das Sine-qua-non und der zentrale Punkt auf allen schwedischen Weihnachtstischen. Dieser Schinken darf unter keinen Umständen geräuchert sein, sondern aus dem Salz; wird aber vor dem Garen entsalzen. Am Schluss noch mit einer Paste aus Senf, Zucker und Brotkrümeln bestrichen und kurz in den heissen Ofen geschoben, um die Paste zu backen. Der Schinken muss gelingen und eine fette Schicht Fett haben, sonst ist Weihnachten im Eimer. Das sagt nicht meine Schwiegermutter, sondern mein Schwiegervater, und der hat immer Recht.



(mehr Bilder zu svenska julbordet gibt es hier)

Speis und Trank, 24.12.2010



Frühstück:
Kaffee, Zucker.

Mittagessen (office):
nix.



Nachtessen (daheim):
die grosse Schweden-Weihnacht: svenska julbordet!
zuerst der Fisch, also zweierlei Sil (eingelegter Hering), Lachs in Variationen, heuer leider kein «janssons frestelse», aber dafür ein ausgezeichneter Tintenfisch-Salat. Und ein wunderbar marinierte Garnelen. Und gekochte Eier, und Brot, und natürlich Kartoffeln.
dann, ein paar Stunden später: das Fleisch. Als Höhepunkt der «julskinka», der Weihnachtsschinken (ein Baby von 4,5 Kilos), natürlich die köttbullar (nein, nicht die Dachpappe von Ikea), Rotkraut, wieder Kartoffeln, Brot.
Prosecco, Bier (Carlsberg), Wasser, Akvavit.







dazwischen:
5 Espressi.

Freitag, 24. Dezember 2010

Speis und Trank, 23.12.2010




Frühstück (daheim):
Tee, Earl Grey
sonst: nix.

Mittagessen (auf dem Weg von Burgdorf nach Genf und zurück):
Fleischkäse-Sandwich
Callier-Branchli

Nachtessen (daheim):
Käseplatte, Wurst, Brot.
Rotwein: Bauza, 2008.

dazwischen:
10 Espressi.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Alles probieren



Der König unter den professionellen Fressern, der Amerikaner Jeffrey Steingarten, der in der amerikanischen «Vogue» jeden Monat eine wunderbare Kolumne schreibt, hat vor einigen Jahren ein ausgezeichnetes Buch verfasst, «The Man who ate everything» (auch auf Deutsch erhältlich, bei Zweitausendeins, «Der Mann, der alles isst»). Darin beschreibt er, wie er erst lernen musste, alles zumindest einmal zu probieren, bevor er es auf die Liste der nicht sonderlich geniessbaren Lebensmittel (ab)schreibt.

Auch ich musste jede Menge lernen, zuerst einmal, denn: Ich muss ein furchtbares Kind gewesen sein. Wie meine eigenen Kinder ass ich eigentlich nur Teigwaren. Und manchmal noch Pasta. Aber kein Gemüse, keines, keinen Fisch, nicht einmal Pommes frites. Aber dafür jede Menge Nudeln. Ich trank bis etwa 22 keinen Wein, weil ich das nur grauenhaft fand, sauer, furchtbar. Ach, wie haben sich die Zeiten doch geändert…

Denn irgendwann begann ich zu begreifen. Nicht auf einen Schlag, ich hatte keine gastronomische Offenbarung, es war mehr ein schleichender Prozess. Aber mit den Jahren mundete mir immer mehr, plötzlich schmeckte mir Fisch, und ich versuchte Muscheln, und ich liebte auch die Muscheln. Ich begann, die Kartoffel zu ehren, mir gefiel noch so manches Gemüse, und dann wagte ich mich auch in die grosse, weite Welt. Da gab es dann auch mal Krokodil oder Schlange, in Peru fritierte Ameisen, in Kolumbien getrocknete Leguan-Eier, in China Dinge, von denen ich gar nicht so genau wissen wollte, was es war. Es gab grobe Herausforderungen, etwa die koreanischen Kimchi, marinierter Kohl, aber da musste ich durch. Ich ess Kimchi unterdessen freiwillig, aber meine Leibspeise wird es nicht.

Bei gewissen Dingen dauerte es lange, bis ich endlich verstand, dass es schmecken kann. Das heftigste Beispiel ist Koriander. Zwar verliebte ich mich schon früh in die thailändische Küche, doch ich reiste immer mit einem Set von Pinzetten, um auch noch den kleinsten Brösel des Wanzenkrauts aus meinem Essen entfernen zu können. Doch irgendwann, es muss ein schöner Tag gewesen sein, ging mir ein Licht auf, und seit damals liebe ich Koriander. Zum Glück, denn sonst ware mir auch die mexikanische Küche auf immer und ewig verschlossen geblieben.

Fenchel hingegen, den mag ich immer noch nicht. Ich hab ihn probiert, bedeutend öfter als mir lieb war. Und sage: Nein, den Fenchel ess ich nicht. Aber sonst eigentlich alles. Zumindest ein Ma(h)l.

Speis und Trank, 22.12.2010




Frühstück (daheim):
Tee, Earl Grey
Erdber-Joghurt

Mittagessen (office):
nix

Nachtessen (daheim):
Saltimbocca
Steinpilz-Risotto. und darüber, also: den Risotto, werde ich mich noch länglich auslassen.
grüner Salat

dazwischen:
8 Espressi.