Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Dienstag, 30. November 2010

Wie man so richtig Schwein hat

Die Metzgete ist ein kulturelles Ereignis der ganz besonderen Art. Doch so richtige Schweinereien werden immer seltener.

Die Leberwurst. Den wahren Kenner erkennt man daran, dass er sich gleich zu Beginn eine Leberwurst zu Gemüte führen wird. Pur, ohne nichts. Der Mensch im Dialog mit sich, dem Leben und der Leberwurst. Denn die Leberwurst, nur von wenigen wirklich geliebt und auch optisch – sie wird im Kreuzdarm dargeboten – ein Genuss der ganz speziellen Art, ist das «pièce de résistance» einer jeden Metzgete. Ist sie trotz allem gut, dann steht der wahren Gaumenfreude nichts mehr im Weg. Ist sie es nicht, dann sollte man gleich wieder gehen.

Denn es sind, wie immer im Leben, die Details, die den Unterschied ausmachen. So eine Leberwurst besteht schliesslich nicht nur aus Leber, die beste Mischung ergibt sich mit der Beigabe von feingehacktem Fleisch von Kuhköpfen, fetten Rindfleischabschnitten, Schwarten, Flechsen, Lungen, Gekröse, gar Eutern. Dazu kommen als Gewürz Salz und Pfeffer, Muskatnuss passt auch, Majoran vielleicht, ein Hauch, aber nur ein Hauch Koriander. Manch ein Metzger sagt: Eier. Und Weisswein. Das würden wir auch unterschreiben, denn nichts ist schlimmer, als wenn die Leberwurst zu trocken ist, die Konsistenz von Sägemehl hat.



Nach der Leberwurst hat sich der Mensch bereits aller Hemmungen entledigt, die Schlachtplatte wird bereits so aussehen, wie sie heisst, also sollte man sich sofort dem Höhepunkt widmen: der Blutwurst. Sie ist die Königin unter den frischen Würsten, allein schon ihre Farbe kann Dichter zu elegischen Ausschweifungen inspirieren. Und den Feinschmecker dazu, ganz ruhig, besonnen, weit weg von der lauten Welt des Restaurants, vor seinem Teller zu sitzen und mit höchster Konzentration den ersten Schnitt anzubringen, der chirurgisch präzis geführt sein muss, mit ruhiger, fester Hand und doch ganz sanft, denn schliesslich handelt es sich bei dieser Wurst um ein Kunstwerk.

Man setzt einigermassen mittig auf der Blutwurst an und zieht das scharfe Messer (der Liebhaber hat immer sein ganz persönliches Exemplar dabei) mit einer einzigen Bewegung quer durch den Schweinsdarm (der in Ausnahmefällen ein weiterer Kreuzdarm sein darf). Was passiert jetzt? Am besten gar nichts. Die Blutwurst sollte unbeweglich in ihrer Haut verharren, bloss die tiefe Schnittstelle darf dem Geniesser freudig und zart fettig entgegenglänzen. Ein solches Prachtstück erhält man allerdings nur noch selten, meist macht sich die Blutwurst schon nach dem ersten Schnitt auf dem Teller auf und davon. Oder ist innen so hart und zäh, dass sie sich auch der weiteren Bearbeitung erfolgreich widersetzen kann.



Diese weitere Bearbeitung hat es in sich. Weitgereiste Leser mögen sich in Deutschland, vielleicht der «Paris Bar» in Berlin, schon einmal an einer in Scheiben geschnittenen und dann gebratenen Blutwurst erfreut haben, doch an einer Schweizer Metzgete sind allein schon solche Gedankenspiele unschicklich. Einheimisches Schaffen verlangt, dass die Wurst aufgeschnitten und dann mit der stumpfen Oberkante des Messer sowie viel Liebe aus ihrem Behältnis gedrückt wird.

Manchmal wird gestritten, ob es Weinbeeren braucht in einer Blutwurst. Solche braucht es beim besten Willen nicht, und es kommt auch nicht in Frage, dass die Blutwurst in einem anderen als in einem natürlichen Darm auf den Tisch kommt.

Doch was braucht es, damit eine würdige Blutwurstkönigin produziert werden kann? Oberstes Gebot ist ganz frisches Schweineblut. Dazu kommen frische Milch und frischer Rahm, auf zehn Liter Blut neun Liter Milch und ein Liter Rahm. Das Milch-Rahm-Gemisch wird fast bis zum Siedepunkt erwärmt und dem nur leicht erwärmten Blut unter ständigem Rühren beigegeben. Es folgen die Gewürze: Salz, Pfeffer, Muskatnuss, Majoran, vielleicht, aber wirklich nur vielleicht etwas Zimt. Nun wird ein Kilo fein gehackte Zwiebeln in 1,5 Kilo Schmerfett schön gelb gedünstet, diese Mischung kommt auch in die Blut-Milch-Rahm-Gewürze-Masse. Schliesslich köchelt man die in die schon erwähnten Schweinsdärme abgefüllten Wunderwerke, je nach Grösse, zwischen 20 und 40 Minuten – in nur 80 Grad warmen Wasser.



Die Wellen der Begeisterung unter den Gästen schlagen hoch und manchmal auch über, die Stimmung ist bestens, auf der Schlachtplatte befindet sich nun eine letzte Blutwurst, die man allerdings liegenlassen wird, denn sie ist das Dessert, sie soll der letzte Bissen sein, der das Mahl abrundet. Ausserdem finden sich da noch, je nach Präferenzen des Gastes: frische Schweinsbratwürste, frische Schweinskoteletten, vielleicht auch noch ein Rippli.

All das gehört eigentlich gar nicht zu einer Metzgete, das Rippli, zum Beispiel, hat schon einige Wochen hinter sich, wenn es dann auf den Tisch kommt, es ward abgehangen und geräuchert. Und doch kann es ein Genuss sein, nach den eher kräftigen Düften und Gaumenfreuden der Leber- und der Bluwurst bringt einen das zarte Fleisch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Auch die Bratwurst, sie eignet sich hervorragend als kleiner Happen zwischendurch, denn schliesslich gilt es auch die Beilagen in sinnvoller Begleitung zu verspeisen.

Als da sind: Sauerkraut, Rösti oder einfach Kartoffeln, Apfelschnitze. Aber der Reihe der Wichtigkeit nach: Das Sauerkraut, es ist halt leider meist ein trauriges Kapitel. Wer sich schon einmal im Elsass an einem wirklich guten Kraut laben durfte, dem wird die Schweizer Variante kaum mehr zur Freude gereichen. Zu sauer, zu wenig sauer, zu viele oder gar keine Wacholderbeeren, zu festgekocht oder dann noch fast ganz roh. Man wird sich deshalb nicht in Massen bedienen, aber ein paar Gabeln dürfen es schon sein, denn das Sauerkraut erweitert das schon weite Geschmacksspektrum einer Metzgete in eine weitere, sehr interessante Richtung.

Leider hat auch bei vielen sonst ganz anständigen Metzgeten die Unsitte Einzug gehalten, eine Schnell-Rösti zu reichen, also eine aus rohen Kartoffeln. Hat man aber das Glück, dass der Koch die Kartoffeln schon am Vorabend gekocht hat und sie dann angenehm über Nacht ruhen liess, die geraffelte Masse dann schön auf kleinem Feuer gebraten hat, dabei nicht zu unruhig wurde und also die Masse nicht zu häufig wendete, dabei mit viel, viel Butter arbeitete, dann kann die Rösti ein wunderbarer Begleiter sein zur Schweinsbratwurst. Auf Wunsch gar mit einer sämigen Zwiebelsauce. Da muss man sich allerdings der Folgen schon bewusst sein.



Es bleiben noch die Apfelschnitze. Oft werden sie stiefmütterlich behandelt, sowohl vom Wirt als auch von den Gästen. Dabei sind sie, frisch zubereitet und mit ein wenig Zimt auf Vordermann gebracht, sehr elementar für das gute Gelingen einer Metzgete. Einmal abgesehen davon, dass ihr süsser Goût den von den heftigen Geschmacksattacken schon ziemlich erregten Gaumen wieder etwas beruhigt – der Verdauungsapparat wird den Verzehr der (unbedingt ungeschälten) Äpfel am Tag nach der Metzgete sehr zu schätzen wissen.

Denn es ist ja häufig so: Wer hat, dem wird noch gegeben. Und so kann es denn durchaus vorkommen, dass nach der Leberwurst, der Blutwurst, der Schweinsbratwurst mit Rösti, dem Rippli mit Kraut, den Apfelschnitzen noch ein Kotelett lockt, 300 Gramm schwer und ganz frisch und folglich ein wunderbarer Genuss. Aber auch wer sich solches zutraut, er darf den letzten Zipfel Blutwurst nicht vergessen, der muss einfach sein, zum Abschluss.

Was aber trinkt man bei einer Metzgete, damit der Genuss noch vollendeter wird? Manche Zeitgenossen bestellen Sauser, weil die Sauser-Saison etwa zeitlich mit der Metzgete-Saison (Oktober bis März) beginnt. Das müssen diese Menschen selber wissen, wir wollen nur darauf verweisen, dass es der Verdauung nicht zu Gute kommt, wenn der treibende Sauser auf die treibenden Apfelschnitze und vielleicht noch auf die Zwiebelsauce trifft. Bei den in den Städten üblichen «Designer-Metzgeten» mit ihren 100-Gramm-Blutwürsten wird gern auch ein Weisswein bestellt, doch auch davon raten wir ab, kein anständiger Weisswien wird sich gegen die deftige Metzgete behaupten können.



Wir empfehlen ein frisch gezapftes, kühles Bier. Und einen Verdauer, dann nachher, nach dem letzten Bissen Blutwurst. Nötig ist ein solcher Digestiv auf jeden Fall, wenn die Metzgete das hält, was man von einer Metzgete erwarten darf.

Aber: die wahren Metzgete, jene schon seit Jahrhunderten traditionelle, bei der ein Bauernhof mit angebautem Gasthaus Anfang Herbst ein paar eigene, glückliche Sauen schlachtet und diese Frisch auf den Tisch bringt, diese «Huusmetzgete» gibt es kaum mehr. Die Gesetze wollen es so, nur noch ausgebildete Metzger mit kantonaler Bescheinigung dürfen den Schweinen an den Kragen, geschlachtet und verarbeitet wird nur noch in hygienisch einwandfreien Räumen.

Was den Nachteil hat, dass die einigermassen romantische Vorstellung von den Sauen, die morgens noch auf der Wiese herumtollten und abends als Blutwurst die Schlachtplatte zieren, damit ein Ende hat. Und den Vorteil, dass die Schlachtplatte samt Blutwurst nicht zu einer Magenverstimmung führt. Schliesslich reicht es ja vollkommen, dass eine anständige Metzgete die Verdauung sowieso zu Höchstleistungen inspiriert.