Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Samstag, 1. Januar 2011

Grundlagen der mexikanischen Küche (5): Scharf ist, was zwei Mal brennt



Wie man weiss, segelte Kolumbus nicht als Tourist oder gar als Sportsfreund gen Westen. Der genuesische Navigator war vielmehr vom Gedanken beseelt, schnell viel Geld zu machen. Er war deshalb froh, dass er schon in der Karibik Völker vorfand, die ihre Speisen würzten. Mit Gewürzen, das wusste der Seemann, konnte man ein Vermögen verdienen. Leider war es kein Pfeffer, pimienta, den die Einheimischen gebrauchten, doch scharf war das Zeug auf jeden Fall. Also nannte es Kolumbus pimiento und brachte es wohl schon von seiner ersten Reise mit zurück nach Europa.

In Mexiko kennt man Chilis schon seit 10'000 Jahren. Kultiviert werden die zu den Nachtschattengewächsen gehörenden Chilis seit 3500 v. Chr. Man unterscheidet fünf Arten. Davon sind Capsicum annum, Capsicum frutescens und Capsicum chinense die wichtigsten. Chemisch ist für die Schärfe von Chilis eine Reihe von Verbindungen verantwortlich, die - abgeleitet vom botanischen Oberbegriff Capsicum - als Capsaicinoide bezeichnet werden.

Capsaicin selbst ist farblos und - bis eben auf die Schärfe - auch geschmacklos. Ausserdem ist es ziemlich beständig. Es wird weder durch das Erhitzen beim Kochen noch durch Erfrieren zerstört. Isoliert präsentiert es sich als weisses Pulver, das in Alkohol, nicht aber in Wasser löslich ist. Darum hilft es wenig, gegen zu scharfe Chili-Speisen Wasser zu trinken. Dass ein kühles Bier helfen sollte, ist allerdings nur ein Gerücht. Das «Brennen» beim Kontakt mit Capsaicin ist sozusagen eine thermische Täuschung: Es kommt durch Einwirkung auf jene Nervenenden zustande, die unter normalen Umständen den Wärmereiz aufnehmen. Da Capsaicin im Gegensatz zu den scharfen Verbindungen von schwarzem Pfeffer oder Ingwer zu einer relativ lang anhaltenden Desensibilisierung dieser Nerven führt, vertragen regelmässige Chilikonsumenten schärfer gewürzte Speisen.

Die Schärfe von Chilis ist, so die Wissenschaft, eigentlich nichts als Notwehr. Der Scharfstoff Capsaicin soll Säugetiere abschrecken, da diese die Samen der Schoten verdauen können und so das Saatgut zerstören. Anders verhält es sich bei den Vögeln. Sie sind für die Verbreitung der Samen verantwortlich. Da dem Federvieh der Rezeptor für Capsaicin fehlt, nimmt er beim Fressen den brennenden Schmerz nicht wahr. Das Capsaicin entfaltet deshalb seine Wirkung erst im Darm der Vögel. Dort wirkt es als Abführmittel und sorgt so für eine beschleunigte Freigabe der noch intakten Samen.

Bei manchen Exemplaren der Spezies Homo sapiens sapiens funktioniert die Strategie der Chilischote allerdings nicht. Viele Menschen  lieben - wider die Natur - scharfe Chili-Gerichte. Auch diese Vorliebe hat biochemische Gründe: Schärfe ist neurologisch betrachtet eine Schmerzempfindung. Auf starke Schmerzen reagiert der Organismus vielfach mit der Bildung körpereigener Opiate, der sogenannten Endorphine. Diese lindern den Schmerz und euphorisieren zugleich. Beim häufigen Verzehr sehr scharfer Speisen erfolgt die Ausschüttung von Endorphinen schliesslich so schnell, dass die Schmerzempfindung unterdrückt wird. Der gut trainierte Esser kann so die Aufhellung seiner Stimmung ungestört geniessen.

Es ist schwierig, die Schärfe eines Chilis objektiv anzugeben. Abgesehen davon, dass auch die Früchte einer Sorte in ihrer Schärfe unterschiedlich sein können, werden die Capsaicine von den Menschen unterschiedlich in ihrer Schärfe beurteilt. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Schärfe zu definieren: in Schärfegraden oder in Scoville-Einheiten. Der Schärfegrad eines Chilis ist demnach eine Zahl zwischen 0 (ungarische Gemüsepaprika) und 10 (Habaneros). Die Zuordnung erfolgt subjektiv. Die Scoville-Einheiten wurden 1912 vom amerikanischen Pharmakologen Wilbur Scoville entwickelt. In seinem ursprünglichn Test wurden Chilis püriert und das Capsaicin mit Alkohol ausgelöst. Die Mischung verdünnte Scoville mit einer Zuckerlösung so lange, bis die Testpersonen keine Schärfe mehr wahrnehmen konnten. Dieser Test hat allerdings den Nachteil, dass er nicht reproduzierbare Ergebnisse zeigte. Dies, weil die Testpersonen einen unterschiedlich stark ausgebildeten Geschmackssinn haben. Heute misst man die Anzahl der Scoville-Einheiten eines Chilis mit Hilfe der Hochdruck-Flüssigkeitschromatographie.

Eine der Schwierigkeiten der mexikanischen Küche besteht darin, die genau richtige Anzahl der richtigen Chilis für das richtige Gericht einzusetzen. Das ist deshalb so kompliziert, weil es für die gleiche Sorte eine Menge wohlklingender Namen gibt. So wird beispielsweise der allseits geliebte Jalapeño auch Acorchado, Bola, Bolita, Candelarie, Cuaresmeño, Gorda, Huachinango, Jarocho, Mora und Morito genannt. Dazu kommt, dass frische, getrocknetee und geräucherte Chilis derselben Sorte mit einer Unzahl von wiederum neuen Namen bezeichnet wird.

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