Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Dienstag, 4. Januar 2011

Grundlagen der mexikanischen Küche (8): «Tequila ist Mexico»





Ab etwa 14 Uhr, da geschieht in Mexiko nicht mehr viel. Selbst in Mexiko-Stadt, der mit wohl etwa 25 Millionen Einwohnern grössten Stadt der Welt, wo die Geschäfte offiziell durchgehend geöffnet bleiben, muss man zwischen 14 und etwa 17 Uhr nichts wollen – in den Banken ist noch ein einziger Schalter offen, und er wird von einem Lehrling bedient, auf den Ämtern ist nicht einmal mehr jemand, der einem sagen würde, dass niemand zu erreichen ist.

Auf dem Land, da herrscht ab 14 Uhr Mittagsruhe, und das macht in vielen Gegenden Mexikos auch Sinn. In Tequila im Bundesstaat Jalisco, zum Beispiel, ist es im etwa acht Monate dauernden Sommer um zwei Uhr nachmittags so drückend warm, dass sich sogar die Fliegen nur noch dem Schatten entlang bewegen; wenn überhaupt. Es ist so heiss, dass man gar nicht daran denkt, in einem der vielen Geschäfte Tequila degustieren zu wollen. Und auch wenn man wollte: Die Geschäfte sind ja geschlossen.



Tequila ist kein Mythos: Tequila ist eine kleine Stadt 50 Kilometer westlich von Guadalajara, der mit etwa fünf Millionen Einwohnern zweitgrössten Metropole von Mexiko. Die Strassen durch Tequila bestehen aus Kopfsteinpflaster, die Kirche stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist ein für mexikanische Verhältnisse angenehm schlichter Bau; auf dem «zocalo», dem Platz, der in jeder mexikanischen Siedlung das Stadtzentrum lokalisiert, küssen sich auf rostigen Bänken junge Paare. Motels für die Verliebten und Untreuen, die sogenannten «movados», die gibt es im beschaulichen Tequila nicht.

Als Tequila 1656 gegründet wurde, da existierte bereits ein Getränk, das dem heutigen Tequila sehr ähnlich war: den Mezcal-Wein. Dieser wurde aus dem fermentierten Saft von Agaven gewonnen, und dann destilliert – den alkoholhaltigen Saft der Agave hatten die indianischen Ureinwohner schon seit wohl Jahrtausenden zu sich genommen (es gibt heute noch so etwas Ähnliches, genannt «pulque»), die Technik der Destillation hatten die einem Schnäpschen – es war damals viel zu gefährlich, Wasser zu trinken – nicht abgeneigten spanischen Konquistadoren aus Europa mitgebracht.

Die erste Destillerie wurde 1795 gegründet, von einem José Maria Cuervo. Das «Casa Cuervo» war von Anfang an sehr erfolgreich, und schon 1850 besass die Familie mehr als 3 Millionen Agave-Pflanzen. 1906 verkaufte Cuervo den ersten Tequila in Flaschen, was dem Schnaps auch ennet der Grenze, in der USA, zum Durchbruch verhalf.



Dass für Tequila ausschliesslich die «blaue» Agave verwendet wird, ist aber nicht «José Cuervo» zu verdanken, sondern dem heute zweitgrössten Hersteller, Sauza, dessen Gründer, der legendäre «tequillero» Don Cenobio, ab etwa 1870 nur noch diese Pflanzenart zur Produktion seines Destillats verwendete. Heute ist Tequila die mit Abstand meistgetrunkene Spirituose in Mexiko – «Tequila ist Mexiko» sagt Carmelita Roman, Witwe eines bekannten Tequila-Produzenten, «es ist das einzige Produkt, mit dem sich unsere gesamte Kultur identifizieren kann.»

Die Produktion von Tequila ist ein komplizierter Prozess. Das Grundmaterial ist nicht wie bei vielen anderen alkoholischen Getränken Getreide, sondern die Agave tequilana weber azul (benannt nach einem deutschen Botaniker, der die Pflanze 1905 klassifiziert hatte); Tequila hat aus diesem Grund auch einen ganz typischen Eigengeschmack, nicht wie etwa Wodka, der nur durch Zugaben so etwas wie Gusto erhält. Die Agave ist nicht, wie allgemein angenommen wird, ein Kaktus, sondern gehört zur Familie der Lilien – die Varietät der tequilana weber azul ist nur eine von weit über 100 Agave-Arten, die in Mexiko wachsen. Andere Agaven werden ebenfalls in alkoholische Getränke verwandelt (Pulque, Mezcal), doch die tequilana weber azul ist die einzige Sorte, die für Tequila verwendet werden darf, und die Herkunftsbezeichnung Tequila ist seit 1977 geschützt.



Die Pflanze braucht mindestens sieben Jahre, bis sie geerntet werden kann. Ein gutbezahlter Spezialist, genannt «jimador», ist für die Ernte verantwortlich, er verwendet dafür selbst hergestellte Werkzeuge. Das Herz der Pflanze, genannt «piña», ist im Durchschnitt 40 Kilogramm schwer (es gibt auch Exemplare mit weit mehr als 100 Kilo), wird dann gesäubert und, zumindest bei der traditionellen Tequila-Herstellung, in grossen Ôfen bei etwa 75 Grad während bis zu 72 Stunden gebacken (daher kommt auch das oft rauchige Aroma von Tequila). Nachdem die jetzt weichen «piñas» für einen Tag auskühlen durften, werden sie zu einem Mus verarbeitet – früher geschah das mit einem Mühlstein, genannt «tahona», heute wird dieser Prozess fast ausschliesslich von Maschinen durchgeführt. Der so entstandene Saft, «aguamiel» – Honigwasser, wird nun unter Zugabe von Hefe fermentiert, dies bis zu 12 Tagen, entweder in Holzfässern oder in Stahltanks. Es folgt eine zweifache Destillation, die erste dauert etwa zwei Stunden, die zweite bis zu vier Stunden.

Ein schlechter Tequila ist etwas Grauenvolles – ein Geruch in der Nase wie ein voller, abgestandener Aschenbecher, im Mund eine fiese Schärfe wie Amoniak. Solche gemeine Tequila sind häufig Billigst-Produkte, «mixtos», denn sie bestehen aus maximal 51% Agave; der Rest ist zumeist aus Zuckerrohr hergestellter Alkohol. Es gibt aber ausgezeichnete «mixto», der vor wenigen Jahren in Europa eingeführte «Olmeca» ist ein Beispiel für einen gut gemachten, günstigen Tequila, auch das klassische Produkt, der José Cuervo Gold (Especial in Mexiko), ist durchaus geniessbar (obwohl er besser für Mix-Getränke verwendet wird). Ein «mixto» muss nicht in Mexiko produziert werden – von Produkten, die nicht mit «hecho in mexico» gekennzeichnet sind, gilt es allerdings unbedingt die Finger zu lassen.



Die Produktebezeichnung «100% Agave» ist selbstverständlich auch kein Güte-Siegel, doch allein schon der bedeutend höhere Material- und Produktionsaufwand garantiert dafür, dass es sich um einem anständigen Tequila handeln wird (die Angaben auf den Etiketten werden übrigens für mexikanische Verhältnisse ausserordentlich streng kontrolliert, von zwei unabhängigen Stellen). Wie beim «Mixto» gibt es auch den «reinen» Tequila in drei verschiedenen Qualitäten: «blanco» (wird direkt von Stahltank in die Flasche abgefüllt), «reposado» (muss mindestens zwei Monate im Fass gelagert sein) und «añejo» (mindestens ein Jahr im Fasss gelagert). Manche Hersteller sind in letzter Zeit wieder vermehrt dazu übergegangen, ihre Produkte als «blanco» anzubieten – wird der Tequila nicht im Holzfass gelagert, dann bleibt er fruchtiger, aromatischer, dann kommt der typische und einzigartige Geschmack der Agave besser zur Geltung.

Der «añejo» ist vor allem als Margentreiber beliebt: Die Preise liegen um rund 200% über jenen von simplem Tequila – die Mehrkosten in der Produktion belaufen sich nach Angaben eines Insiders auf höchstens 20%.

Einen guten, kraftvollen «blanco» wird man vor dem Essen trinken, während die ausgewogeneren, aber auch langweiligeren «resposado» und «añejo» sich eher für nach dem Menu eignen, zu einer Zigarre vielleicht, nach einem starken Kaffee. Selbstverständlich wird ein anständiger Tequila pur getrunken, ungekühlt und ohne Eis, und er braucht beim besten Willen nicht in einem «shot» weggehauen zu werden. Wer auf den Geschmack kommt, der wird einen edlen Tequila bald einem Single-Malt-Whisky oder Cognac gleichsetzen.



Anfang des neuen Jahrtausends befand sich die Tequila-Industrie in einer tiefen Krise. Zwischen 1995 und 2000 stieg der Export zwar von 64,5 Mio. Liter auf fast 100 Mio. Liter, die Gesamtproduktion wurde von 1995 bis 1999 fast verdoppelt. Doch dann begannen der Preis für die Agave zu steigen, obwohl gar keine Verknappung bestand: 2001 betrug der Preis für ein Kilo Agave 16 Pesos, rund 20 Mal mehr als ein halbes Jahrzehnt zuvor. Der Markt hat sich mittlerweile wieder beruhigt, ein Kilo Agave kostet noch 8 Pesos/Kilo – und es bestehen momentan keine Befürchtungen, dass es wieder zu einem Preiskrieg kommen könnte. Das liegt vor allem daran, dass die grossen Produzenten die schwierigen Zeiten genutzt haben, um ihre eigenen Bestände zu vergrössern. José Cuervo, der grösste und weiterhin bekannteste Hersteller, nennt 42 Mio. Pflanzen sein eigen. Als einziger der bekannten Namen ist dieses Unternehmen noch 100-prozentig mexikanisch; im vergangenen Jahr verkaufte die Marke mit dem Raben («el cuervo») im Wappen rund 3,5 Mio. Kisten Tequila, mehr als 30 Mio. Liter. José Cuervo ist ausserdem mit 50% an der Super-Premium-Marke «Don Julio» beteiligt.

Sauza, der zweitgrösste Hersteller hinter José Cuervo, wurde lange Jahre von Qualitätsproblemen geplagt; gleiches gilt für Cazadores. Der derzeit am schnellsten wachsende Tequila-Produzent ist Herradura, der mit einer aggressiven Expansionspolitik die restlichen Hersteller verärgert und verängstigt. Gut im Geschäft ist auch Olmeca, die mit einer der modernsten Produktionsanlagen ein heisses Eisen im Feuer haben. Dass alle bekannten Spirituosen-Hersteller (Allied Domecq, Diageo, Baccardi, Pernod Ricard usw.) am Geschäft mit dem Tequila beteiligt sind, zeigt auf, dass hier Destillate entstehen, die Zukunft haben – und garantiert gleichzeitig, dass der Vertrieb weltweit klappen wird, sobald Tequila auch in Europa in Mode kommt.



Die Chance, sich in der Schweiz schon einmal einen guten Tequila zu Gemüte geführt zu haben, sie ist verschwindend klein: Nur rund 20% aller Tequila bestehen aus den erfolgversprechenden «100% Agave», und davon wiederum wird nur etwa ein Viertel exportiert – und dies fast ausschliesslich in die USA. Die immer grösser werdende amerikanische Fan-Gemeinde ist hingegen wiederum dafür verantwortlich, dass auch kleine Produzenten von sogenannten «Boutique Tequila» nicht bloss überleben können, sondern eine immer internationalere Kundschaft finden – und folglich mehr produzieren. In Los Angeles, San Francisco, New York und Detroit gibt es teilweise schon seit Jahren Bars, die ausschliesslich eine hochklassige Auswahl von Tequila servieren; die erste «Cantina» in diesem Stil hatte kürzlich auch in Tokio ihre Premiere. Es wird also nicht mehr lange dauern, bis auch die Europäer - endlich - auf den Geschmack kommen.

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