Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Dienstag, 25. Januar 2011

Leider: Paris


Es musste halt wieder einmal sein: Paris. Mit dem TGV von Bern nach Paris, direkt, das ist eine feine Sache; wieso es in umgekehrter Richtung keine direkte Verbindung gibt, das ist hingegen ein Rätsel (und warum ich das blöde Ticket für die Rückreise im Zug liegen liess, ist mir auch schleierhaft). Nun, eben, es war ein geschäftlicher Ausflug nach Paris, und so konnte ich auch das Hotel nicht selber wählen, sondern musste mich auf den Geschmack des Gastgebers verlassen. Und der wählte den so ziemlich übelsten Schuppen, den Paris zu bieten hat: Le Meridien Etoile. 



1054 Zimmer, eine dauernde Baustelle, ein grauenhaft muffiger Gestank in den Gängen (was vom dicken Teppich, der jede Renovierung des Hauses überstanden hat, herrühren dürfte), und dann winzige, völlig überteuerte Zimmer. Ich hatte zudem noch das Glück einer ganz fantastischen Aussicht.



Und abends dann ein formidables Essen. Nein, nicht im Hotel selber, da wäre es wohl noch schlimmer gewesen, sondern im berühmten Pavillon Gabriel. Der kann für Anlässe gemietet werden, dann kommt ein Catering-Service, und dann sollte man sich dringend überlegen, ob man das Haus nicht besser gleich nach dem, oder noch besser: beim Apèro wieder verlässt.

Es gab zuerst: ein Lobster-Soufflé.



Und genau so wie es aussah, schmeckte es auch. Absolut ungeniessbar.

Es folgte ein Spiesslein mit einem Kalbs-Medaillon und einer gefüllten Morchel, dazu Kefen (Févettes) und Pommes Charlotte. Das Fleisch nicht einmal lauwarm, die Morchel wohl zur Strafe, weil ich das Lobster-Soufflé nach einem Bissen angewidert von mir geschoben hatte, mit diesem grauenhaften Zeug gefüllt (aber eh so zäh und muffig wie der Teppich im Hotel), der Jus sehr wässrig, die Kartoffeln unglaublich heiss, die Kefen wahrscheinlich wunderbar, aber ich kann das nicht beurteilen, ich mag keine Kefen.

Das Dessert dann trug den gradiosen Namen «Idée fumante de bombe glacée». Und dabei handelte es sich um irgendein Industrie-Eis vom Grosshändler, geziert von riesigen Stücken von marinierter Birne und Ananas. Optisch eine Katastrophe, diese marinierten Früchte, aber immerhin waren sie geniessbar, denn sonst hätte ich ja den ganzen Abend nichts gegessen. Doch das war ja nicht so schlimm, es blieb mir ja die Vorfreude auf das wunderbare Hotelzimmer.

sorry.

technische und andere probleme.
aber jetzt geht es weiter.

Freitag, 7. Januar 2011

Grundlagen der mexikanischen Küche (9): Die «chicas» von Ciudad de Mexico

Um da mal ein paar Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Nein, Chili con carne ist nicht das mexikanische Nationalgericht. Es mag dies Bohnenfutter durchaus geben in Mexiko, aber nur in amerikanischen Restaurants; ein Mexikaner würde sich solches nicht antun. Und auch sonst gibt es ein paar Unklarheiten: Ein Taco ist in Mexiko kein knallhartes Chips aus Mais, sondern eine frische Tortilla, schön weich und am besten noch warm, gefüllt mit Fleisch, Fisch, Gemüse, Käse (dann heisst es Quesadilla), ganz nach Gusto. In Europa nennt man die gefüllten «weichen» Tortillas meist Fajita, in den USA heissen sie «Burrito» - solches kennt der Mexikaner zwar auch, meint aber etwas ganz anderes. Für ihn ist der Taco der Quell des Lebens, Tacos gibt es den ganzen Tag, immer, überall, der Mexikaner liebt seinen Taco, und wenn er mal seinen liebsten Strassenverkäufer gefunden hat, dann bleibt er diesem gerne sein Leben lang treu.

Ein Taco ist die mexikanische Form von «Fast Food». Doch sonst ist die mexikanische Küche ungewöhnlich aufwendig - und wird unterschätzt. Lange, bevor die Franzosen auf die gleiche Idee kamen, hatten die Mexikaner bei der UNESCO schon den Antrag gestellt, dass ihre Küche zum Weltkulturerbe erklärt werden muss. Und das nicht zu Unrecht: Mit Ausnahme vielleicht der thailändischen gibt es kaum mehr Landesküchen, die derart speziell, ungewöhnlich und eigenständig sind wie die mexikanische. Es konnten viele Eigenheiten aus der prä-kolonialenZeit bewahrt werden, von den Azteken, Maya, Zapoteken, Raramuri, doch die zusätzlichen Einflüsse aus Spanien, Frankreich, aber auch aus dem arabischen und karibischen Raum gaben der ganzen Geschichte das gewisse Etwas. Dazu kommt, dass Mexiko die Heimat vieler heute beliebter Produkte ist, von Kakao und Vanille etwa, aber auch Tomaten, Mais, Chili, Erdnüsse, Avocado oder der Truthahn stammen aus dem mexikanischen Raum. Dass die Küchen in einem Land mit knapp zwei Millionen Quadratkilometern (sechsmal so gross wie Deutschland) und über 12'000 Kilometern Küstenlinie von Norden nach Süden natürlich stark unterschiedlich sind, das versteht sich von selbst.

Den besten Überblick über die mexikanische Küche erhält man sicher in Mexiko-Stadt, Ciudad de Mexico, und der an den Hauptstadtbezirk (Distrito Federal, von den Mexikanern DF genannt) angrenzenden «Zona Metropolitana del Valle de Mexico». Gut 20 Millionen Menschen leben hier - «chilangos», wie sie von den restlichen Mexikanern despektierlich bezeichnet werden -, was Mexiko-Stadt zu einer der grössten Metropolen der Welt macht. Ein unglaublicher Moloch - in dem die Frauen die Gastronomie beherrschen.

«Titita» ist die Köngin. Seit mehr als 30 Jahren führt Carmen Ramirez Degollado ihr Restaurant «El Bajio» im Stadtteil Azcapotzalco; keine schicke Adresse wie Condesa oder Polanco, und wer sich hier in den wenig gastlichen Norden der Stadt verirrt, dem steht der Sinn nach Abenteuer. Auch auf dem Teller: «Titita» serviert die ganz klassische mexikanische Küche. Die 73-jährige, in edler Würde gealterte Dame, die in ihren traditionellen, sehr farbigen Gewändern durch ihr wunderbar eingerichtetes Lokal stolziert, hat ihr Restaurant zwar nach der Region «Bajio», dem Tiefland rund um die Städte Guanajuato und Queretaro, benannt, doch sie selber stammt aus Veracruz, einer tropisch-heissen Stadt im Süden. Und so kommt denn ein fröhliches Gemisch an Einflüssen aus der Küche. Berühmt sind etwa die «carnitas» (eine kleine Ewigkeit gegartes Schweinefleisch, vergleichbar mit Siedfleisch) oder «barbacoa» (das ganze Lamm wird in Stücke geschnitten und zu einer dicken Suppe verarbeitet; manchmal grüsst auch noch ein Auge...), und es gibt Dutzende Varianten von «empanadas» (gefüllte Tortillas), «chile rellenos» (gefüllte Chili; aber nicht vergleichbar mit profanen Peperoni mit gemeinem Hackfleisch), «mole» (eine spezielle, sehr dicke Sauce mit der eigenartigen Mischung aus Chili und Schokolade...). Das Studium der Karte dauert eine kleine Ewigkeit, und immer wieder gräbt «Titita» aus alten Kochbüchern neue Gerichte aus, die sie den Gästen nicht vorenthalten will. Bestelle drei, erhalte fünf - es ist eine wunderbare Warmherzigkeit, mit der «Titita» ihr Lokal erfüllt. Und sie liebt ausländische Gäste, denen sie mit Händen und Füssen und vielen, vielen Worten alles erklären will.

Bedeutend strenger ist da Patricia Quintana. Sie ist nicht die Königin, aber dafür der Superstar unter den mexikanischen Köchinnen; sie schreibt Bücher, tritt im Fernsehen auf, reist um die Welt, und gilt als einer der wenigen weiblichen Chefs, die es global in die oberste Liga geschafft haben. Gelernt hat sie unter anderem beim göttlichen Fredy Girardet - und heute verbindet sie traditionelle mexikanische Rezepte auf wundersame Weise mit modernsten Techniken und Einflüssen aus aller Welt. Ihr «Izote» im schicken Stadtteil Condesa ist sehr schick, sehr cool - und sehr teuer, nicht nur für mexikanische Verhältnisse. So zickig sie auch manchmal ist, doch wenn sie zur Vorspeise eine Variation von Tamales (eigentlich: ein Maisteig mit Füllung, umhüllt und gekocht in einem Bananenblatt), de queso con epazote, de flor de calabaza, de cuitlacoche, de chanchimitos und de pollo con jitomate auf den Tisch stellt, dann ist man gleich wieder beruhigt. Wie wärs mit «Cordero al vapor en hoja de platano con salsa borracha, salsa de chile mora, salsa verde cruda y salsa de chile ancho con jugo de naranja y tomatillo de milpa con chile de arbol»? Ein im Bananenblatt gedämpftes Lamm mit vier Saucen, drei davon von unterschiedlichen Chili, die dem zarten Fleisch jeweils neue, ganz überraschende Geschmacksnoten entlocken können.

Und so gehen wir weiter zu Gabriela Camara. Gaby ist die hübsche, clevere Prinzessin unter den mexikanischen Gastronominnen. Studiert hat sie Wirtschaft, 1998 eröffnete sie, gerade einmal 22-jährig, ihr erstes Restaurant, das «Contramar», unterdessen sind es sieben, und es werden in DF sowie Guadalajara 35'000 Gäste pro Monat bestens bedient. Camara bezeichnet sich nur als Hobby-Köchin, doch alle Rezepte stammen von ihr; wie bei «Titita» und Quintana basiert ihre Köche auf den langen mexikanischen Traditionen sowie sauberem Handwerk mit qualitativ besten Produkten, doch ihr Erfolgsgeheimnis ist die leichte Verständlichkeit. Der Fisch soll ein Fisch bleiben (auf dem zweitgrössten Fischmarkt der Welt gibt es ja auch die entsprechende Auswahl) und das Fleisch als solches erkennbar, alles ist luftig und leicht, der japanische Einfluss ist gross und erfreulich, schwer verdauliche «mole» oder unendlich aufwendige Geschichten wie «chiles en nogada» (gefüllte Chili mit einer Sauce von Walnüssen und Granatapfelkernen) gibt es bei ihr nicht. Ihre Tostadas de Atun sind ein Traum, süchtigmachend, es gibt fantastische Tacos de Jaiba (Tortillas mit Krebsfleisch) und einen unglaublichen Salpicon de mariscos (Meeresfrüchtesalat).

Und warum beherrschen die Frauen das Geschäft in Mexiko, dem Geburtsland des Machismo? «Titita» sagt: «Wir haben es halt von unseren Müttern gelernt.» Quintana meint, es sei die Geduld, die den Unterschied mache. Und Camara, die Erfolgreiche, will sich die Frage gar nicht erst stellen, sondern wälzt Pläne für ein achtes, neuntes Lokal, und eines in den USA, um auch dort endlich die authentische mexikanische Küche bekannt zu machen.

Eine Name muss unbedingt erwähnt sein, wenn es um die mexikanische Küche geht: Diana Kennedy. Die gebürtige Engländerin lebt seit 51 Jahren in Mexiko - und hat mit einer ganzen Reihe von ausgezeichneten Reiseberichten und Kochbüchern dafür gesorgt, dass viele traditionelle mexikanische Gerichte nicht vergessen gingen. Leider sind ihre Werke nur auf Spanisch und Englisch erhältlich, doch wer etwas über die grossartige Esskultur dieses grossartigen Landes lernen will, dem sei die - auch sehr spannende - Lektüre etwa von «My Mexico» (1998, Clarkson Potter Publishers, New York) empfohlen. Die beste Rezeptsammlung findet sich in «The Essential Cuisines of Mexico» (2000, Clarkson Potter Publishers, New York).



Dienstag, 4. Januar 2011

Grundlagen der mexikanischen Küche (8): «Tequila ist Mexico»





Ab etwa 14 Uhr, da geschieht in Mexiko nicht mehr viel. Selbst in Mexiko-Stadt, der mit wohl etwa 25 Millionen Einwohnern grössten Stadt der Welt, wo die Geschäfte offiziell durchgehend geöffnet bleiben, muss man zwischen 14 und etwa 17 Uhr nichts wollen – in den Banken ist noch ein einziger Schalter offen, und er wird von einem Lehrling bedient, auf den Ämtern ist nicht einmal mehr jemand, der einem sagen würde, dass niemand zu erreichen ist.

Auf dem Land, da herrscht ab 14 Uhr Mittagsruhe, und das macht in vielen Gegenden Mexikos auch Sinn. In Tequila im Bundesstaat Jalisco, zum Beispiel, ist es im etwa acht Monate dauernden Sommer um zwei Uhr nachmittags so drückend warm, dass sich sogar die Fliegen nur noch dem Schatten entlang bewegen; wenn überhaupt. Es ist so heiss, dass man gar nicht daran denkt, in einem der vielen Geschäfte Tequila degustieren zu wollen. Und auch wenn man wollte: Die Geschäfte sind ja geschlossen.



Tequila ist kein Mythos: Tequila ist eine kleine Stadt 50 Kilometer westlich von Guadalajara, der mit etwa fünf Millionen Einwohnern zweitgrössten Metropole von Mexiko. Die Strassen durch Tequila bestehen aus Kopfsteinpflaster, die Kirche stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist ein für mexikanische Verhältnisse angenehm schlichter Bau; auf dem «zocalo», dem Platz, der in jeder mexikanischen Siedlung das Stadtzentrum lokalisiert, küssen sich auf rostigen Bänken junge Paare. Motels für die Verliebten und Untreuen, die sogenannten «movados», die gibt es im beschaulichen Tequila nicht.

Als Tequila 1656 gegründet wurde, da existierte bereits ein Getränk, das dem heutigen Tequila sehr ähnlich war: den Mezcal-Wein. Dieser wurde aus dem fermentierten Saft von Agaven gewonnen, und dann destilliert – den alkoholhaltigen Saft der Agave hatten die indianischen Ureinwohner schon seit wohl Jahrtausenden zu sich genommen (es gibt heute noch so etwas Ähnliches, genannt «pulque»), die Technik der Destillation hatten die einem Schnäpschen – es war damals viel zu gefährlich, Wasser zu trinken – nicht abgeneigten spanischen Konquistadoren aus Europa mitgebracht.

Die erste Destillerie wurde 1795 gegründet, von einem José Maria Cuervo. Das «Casa Cuervo» war von Anfang an sehr erfolgreich, und schon 1850 besass die Familie mehr als 3 Millionen Agave-Pflanzen. 1906 verkaufte Cuervo den ersten Tequila in Flaschen, was dem Schnaps auch ennet der Grenze, in der USA, zum Durchbruch verhalf.



Dass für Tequila ausschliesslich die «blaue» Agave verwendet wird, ist aber nicht «José Cuervo» zu verdanken, sondern dem heute zweitgrössten Hersteller, Sauza, dessen Gründer, der legendäre «tequillero» Don Cenobio, ab etwa 1870 nur noch diese Pflanzenart zur Produktion seines Destillats verwendete. Heute ist Tequila die mit Abstand meistgetrunkene Spirituose in Mexiko – «Tequila ist Mexiko» sagt Carmelita Roman, Witwe eines bekannten Tequila-Produzenten, «es ist das einzige Produkt, mit dem sich unsere gesamte Kultur identifizieren kann.»

Die Produktion von Tequila ist ein komplizierter Prozess. Das Grundmaterial ist nicht wie bei vielen anderen alkoholischen Getränken Getreide, sondern die Agave tequilana weber azul (benannt nach einem deutschen Botaniker, der die Pflanze 1905 klassifiziert hatte); Tequila hat aus diesem Grund auch einen ganz typischen Eigengeschmack, nicht wie etwa Wodka, der nur durch Zugaben so etwas wie Gusto erhält. Die Agave ist nicht, wie allgemein angenommen wird, ein Kaktus, sondern gehört zur Familie der Lilien – die Varietät der tequilana weber azul ist nur eine von weit über 100 Agave-Arten, die in Mexiko wachsen. Andere Agaven werden ebenfalls in alkoholische Getränke verwandelt (Pulque, Mezcal), doch die tequilana weber azul ist die einzige Sorte, die für Tequila verwendet werden darf, und die Herkunftsbezeichnung Tequila ist seit 1977 geschützt.



Die Pflanze braucht mindestens sieben Jahre, bis sie geerntet werden kann. Ein gutbezahlter Spezialist, genannt «jimador», ist für die Ernte verantwortlich, er verwendet dafür selbst hergestellte Werkzeuge. Das Herz der Pflanze, genannt «piña», ist im Durchschnitt 40 Kilogramm schwer (es gibt auch Exemplare mit weit mehr als 100 Kilo), wird dann gesäubert und, zumindest bei der traditionellen Tequila-Herstellung, in grossen Ôfen bei etwa 75 Grad während bis zu 72 Stunden gebacken (daher kommt auch das oft rauchige Aroma von Tequila). Nachdem die jetzt weichen «piñas» für einen Tag auskühlen durften, werden sie zu einem Mus verarbeitet – früher geschah das mit einem Mühlstein, genannt «tahona», heute wird dieser Prozess fast ausschliesslich von Maschinen durchgeführt. Der so entstandene Saft, «aguamiel» – Honigwasser, wird nun unter Zugabe von Hefe fermentiert, dies bis zu 12 Tagen, entweder in Holzfässern oder in Stahltanks. Es folgt eine zweifache Destillation, die erste dauert etwa zwei Stunden, die zweite bis zu vier Stunden.

Ein schlechter Tequila ist etwas Grauenvolles – ein Geruch in der Nase wie ein voller, abgestandener Aschenbecher, im Mund eine fiese Schärfe wie Amoniak. Solche gemeine Tequila sind häufig Billigst-Produkte, «mixtos», denn sie bestehen aus maximal 51% Agave; der Rest ist zumeist aus Zuckerrohr hergestellter Alkohol. Es gibt aber ausgezeichnete «mixto», der vor wenigen Jahren in Europa eingeführte «Olmeca» ist ein Beispiel für einen gut gemachten, günstigen Tequila, auch das klassische Produkt, der José Cuervo Gold (Especial in Mexiko), ist durchaus geniessbar (obwohl er besser für Mix-Getränke verwendet wird). Ein «mixto» muss nicht in Mexiko produziert werden – von Produkten, die nicht mit «hecho in mexico» gekennzeichnet sind, gilt es allerdings unbedingt die Finger zu lassen.



Die Produktebezeichnung «100% Agave» ist selbstverständlich auch kein Güte-Siegel, doch allein schon der bedeutend höhere Material- und Produktionsaufwand garantiert dafür, dass es sich um einem anständigen Tequila handeln wird (die Angaben auf den Etiketten werden übrigens für mexikanische Verhältnisse ausserordentlich streng kontrolliert, von zwei unabhängigen Stellen). Wie beim «Mixto» gibt es auch den «reinen» Tequila in drei verschiedenen Qualitäten: «blanco» (wird direkt von Stahltank in die Flasche abgefüllt), «reposado» (muss mindestens zwei Monate im Fass gelagert sein) und «añejo» (mindestens ein Jahr im Fasss gelagert). Manche Hersteller sind in letzter Zeit wieder vermehrt dazu übergegangen, ihre Produkte als «blanco» anzubieten – wird der Tequila nicht im Holzfass gelagert, dann bleibt er fruchtiger, aromatischer, dann kommt der typische und einzigartige Geschmack der Agave besser zur Geltung.

Der «añejo» ist vor allem als Margentreiber beliebt: Die Preise liegen um rund 200% über jenen von simplem Tequila – die Mehrkosten in der Produktion belaufen sich nach Angaben eines Insiders auf höchstens 20%.

Einen guten, kraftvollen «blanco» wird man vor dem Essen trinken, während die ausgewogeneren, aber auch langweiligeren «resposado» und «añejo» sich eher für nach dem Menu eignen, zu einer Zigarre vielleicht, nach einem starken Kaffee. Selbstverständlich wird ein anständiger Tequila pur getrunken, ungekühlt und ohne Eis, und er braucht beim besten Willen nicht in einem «shot» weggehauen zu werden. Wer auf den Geschmack kommt, der wird einen edlen Tequila bald einem Single-Malt-Whisky oder Cognac gleichsetzen.



Anfang des neuen Jahrtausends befand sich die Tequila-Industrie in einer tiefen Krise. Zwischen 1995 und 2000 stieg der Export zwar von 64,5 Mio. Liter auf fast 100 Mio. Liter, die Gesamtproduktion wurde von 1995 bis 1999 fast verdoppelt. Doch dann begannen der Preis für die Agave zu steigen, obwohl gar keine Verknappung bestand: 2001 betrug der Preis für ein Kilo Agave 16 Pesos, rund 20 Mal mehr als ein halbes Jahrzehnt zuvor. Der Markt hat sich mittlerweile wieder beruhigt, ein Kilo Agave kostet noch 8 Pesos/Kilo – und es bestehen momentan keine Befürchtungen, dass es wieder zu einem Preiskrieg kommen könnte. Das liegt vor allem daran, dass die grossen Produzenten die schwierigen Zeiten genutzt haben, um ihre eigenen Bestände zu vergrössern. José Cuervo, der grösste und weiterhin bekannteste Hersteller, nennt 42 Mio. Pflanzen sein eigen. Als einziger der bekannten Namen ist dieses Unternehmen noch 100-prozentig mexikanisch; im vergangenen Jahr verkaufte die Marke mit dem Raben («el cuervo») im Wappen rund 3,5 Mio. Kisten Tequila, mehr als 30 Mio. Liter. José Cuervo ist ausserdem mit 50% an der Super-Premium-Marke «Don Julio» beteiligt.

Sauza, der zweitgrösste Hersteller hinter José Cuervo, wurde lange Jahre von Qualitätsproblemen geplagt; gleiches gilt für Cazadores. Der derzeit am schnellsten wachsende Tequila-Produzent ist Herradura, der mit einer aggressiven Expansionspolitik die restlichen Hersteller verärgert und verängstigt. Gut im Geschäft ist auch Olmeca, die mit einer der modernsten Produktionsanlagen ein heisses Eisen im Feuer haben. Dass alle bekannten Spirituosen-Hersteller (Allied Domecq, Diageo, Baccardi, Pernod Ricard usw.) am Geschäft mit dem Tequila beteiligt sind, zeigt auf, dass hier Destillate entstehen, die Zukunft haben – und garantiert gleichzeitig, dass der Vertrieb weltweit klappen wird, sobald Tequila auch in Europa in Mode kommt.



Die Chance, sich in der Schweiz schon einmal einen guten Tequila zu Gemüte geführt zu haben, sie ist verschwindend klein: Nur rund 20% aller Tequila bestehen aus den erfolgversprechenden «100% Agave», und davon wiederum wird nur etwa ein Viertel exportiert – und dies fast ausschliesslich in die USA. Die immer grösser werdende amerikanische Fan-Gemeinde ist hingegen wiederum dafür verantwortlich, dass auch kleine Produzenten von sogenannten «Boutique Tequila» nicht bloss überleben können, sondern eine immer internationalere Kundschaft finden – und folglich mehr produzieren. In Los Angeles, San Francisco, New York und Detroit gibt es teilweise schon seit Jahren Bars, die ausschliesslich eine hochklassige Auswahl von Tequila servieren; die erste «Cantina» in diesem Stil hatte kürzlich auch in Tokio ihre Premiere. Es wird also nicht mehr lange dauern, bis auch die Europäer - endlich - auf den Geschmack kommen.

Montag, 3. Januar 2011

Jetzt aber: Brühe




Jahresbeginn, und das ist ein guter Zeitpunkt, mich mal wieder mit den elementaren Dingen zu beschäftigen. Und ganz elementar ist, wenn man selber kocht: die Brühe. Der Fond. Sans fond perdu, oder so.

Damit ich wieder ins Thema reinkomme, beginne ich mit einer leichteren Übung: der Hühner-Brühe. Leichter, also einfacher deshalb, weil sie etwa im Gegensatz zum Kalbsfond keine 12 Stunden braucht, sondern mit vier, fünf Stunden ganz zufrieden ist. Dass die Küche nachher trotzdem aussieht wie Sau, das ist bei mir einfach so, das muss so sein, sonst habe ich das Gefühl, nicht ernsthaft genug ins Geschehen eingegriffen zu haben.

Also: Man nehme ein Huhn. Ich bestelle bei meinem Metzger jeweils ein Suppen-Huhn, das Ding darf schon etwas älter sein, eines, das man nicht mehr unbedingt als «Güggeli im Körbli» servieren würde (was mir eh nie in den Sinn kommen würde, nur schon diese poppelige Bezeichnung); wie beim «Coq au vin» darf es gern ein männliches Vieh sein, die haben einfach mehr Schmackes. Dann wird das Tier zerteilt, was eigentlich gar nicht unbedingt sein müsste, aber ich kann dann endlich wieder einmal mit meinem wunderbaren, thailändischen Hackebeil arbeiten, und das ist für mich Grund genug.



Nochmals von vorne, die Zutaten:
- ein Suppen-Huhn, mindestens 1 Kilo, besser: mehr
- 2 Teelöffel Tomatenmark (warum? ich erklär es gleich)
- 3 Rüben, halbiert, geviertelt
- 1 anständige Zwiebel
- 2 Stangen Bleich-Sellerie (oder eine Knolle, gewürfelt)
- ein kleiner Kohl
- eine Stange Lauch
- 4 Lorbeerblätter
- ein paar schwarze Pfefferkörner (wer es genauer will: 8)
- Wacholderbeeren
- Nägeli (um ganz genau zu sein: 3)
- ich geb dann jeweils noch zwei Chili-Schoten bei, für die erste Stunde, aber das muss nicht sein.
- ein grosser Topf mit mindestens 7 Liter Fassungsvermögen



Die Zubereitung:
- den Ofen auf 220 Grad vorheizen.
- das Huhn zerteilen - das ist der Teil, der wirklich Spass macht. die Teile in einen Bräter legen, den Bräter in den Ofen legen, 20 Minuten brutzeln lassen.
- die Hühnerteile aus dem Ofen nehmen, mit dem Tomatenmark bestreichen, dann nochmals für 5 Minuten ab in den Ofen. das macht sonst niemand, und ich weiss auch nicht, ob es wirklich etwas bringt, aber es sieht ausgezeichnet aus.
- die Hühnerteile wieder aus dem Ofen nehmen - und im grossen Topf, der mit 6 Liter Wasser gefüllt ist, versenken. das Gemüse und die Kräuter zugeben.
- jetzt mal kräftig durchatmen, denn der grösste Teil der Arbeit ist bereits vollbracht. vielleicht ein Glas Weisswein trinken.
- wichtig ist jetzt, die ganze Geschichte schön langsam zu erhitzen. die Flüssigkeit soll nicht kochen, nie, aber immer kurz davor stehen; dem sagt man dann «simmern».
- in praktisch allen Kochbüchern steht als nächster Schritt: Verunreinigungen wie Schaum oben abschöpfen. ich habe eigentlich nie Verunreinigungen oder Schaum. aber falls man sie dann hat: abschöpfen. all die Kochbücher können nicht irren.
- diese Brühe mindestens 4, besser 5 Stunden ziehen lassen. dann stellt man sie zur Seite, lässt sie etwas abkühlen: dadurch fallen die festen Bestandteile auf den Boden des Topfs.
- die Brühe, den Fond jetzt langsam und sorgfältig durch ein Sieb giessen. und nochmals. und nochmals. wenn Sie ganz streng sein wollen, dann legen Sie ein Küchenpapier ins Sieb, dann wird die Brühe ganz klar.
- nicht sofort verwendete Brühe in Behälter umgiessen, die sich tiefkühlen lassen. sinnvollerweise in Grössen, die sich dann auch wieder verwenden lassen, zum Beispiel für einen Risotto.

Das ist alles ist nun keine Hexerei, das kann jeder Banause. Dachte ich. Als ich dann meine Brühe nach fünf Stunden «Simmern» probierte, war sie so fad wie ein Häagen-Dazs-Sorbet. Was hatte ich falsch gemacht? Keine Ahnung. Zwei Stunden später probierte ich den Fond noch einmal. Schon besser. Und als ich am folgenden Morgen meinen Finger noch einmal in die Brühe hielt, das eine Gefäss, das ich noch nicht in den Tiefkühler geworfen hatte, da war ich ganz zufrieden.

Am nächsten Wochenende dann: Kalbsfond. Vielleicht sogar Demi-glace, so, wie sie uns Claudio Del Principe, sicher einer der fröhlichsten Food-Blogger deutscher Sprache (http://www.anonymekoeche.net), propagiert. Mal schauen.

Speis und Trank, 3.1.2011




Frühstück:
nix.

Mittagessen (office):
nix.

Nachtessen (bei Kollegen):
so eine Art mexikanisch, mit diesen trockenen Tortillas aus dem Reformhaus, als Füllung etwas mit Chili, Zwiebeln, Knoblauch, Sojasauce aufgepepptes Hühnerfleisch aus der am Sonntag zubereiteten Brühe, Rindshuft, ganz schnell angebraten, Reis und die üblichen Verdächtigen, Gurken, Peperoni, Sauerrahm, Zwiebeln.
zum Dessert: Solothurner-Torte
Rotwein: Bauza, 2007

dazwischen:
12 Espressi
Callier-Branchli

Anonyme Köche - das etwas andere Kochbuch




Manchmal nervt er, dieser Claudio Del Principe. Manchmal ist er einfach ein grauenhafter Besserwisser. So einer mit erhobenem Zeigefinger, macht dies, macht das, und wenn ihr es nicht so macht, dann macht ihr es einfach falsch. Und ausserdem wirft er auf oder in so ziemlich alles, was er kocht, glatte Petersilie. Meistens gehackt.

Dafür trägt Claudio Del Principe sehr gute Anzüge. Und so ein schickes Bärtchen. Trotz wohlklingendem Namen ist er Schweizer. Selbstverständlich mit italienischen Wurzeln. Und das sieht man dem Mann, der sich seine Bistecche fiorentine als Werbetexter verdient, auch an, am Anzug, am Bärtchen, an dieser schönen Form von charmanter Eleganz, wie sie halt nur Italiener haben. Und auch daran, wie er spricht: immer auch mit den Händen. Und den Augen.

Wir treffen Claudio Del Principe im Basler «Trois Rois». Es ist eigenartig, wenn ein Mann mit italienischem Schick Baseldeutsch spricht, aber daran kann man sich gewöhnen. Das «Trois Rois» scheint Del Principe zu mögen, er hat auch schon darüber geschrieben, über ein Fünf-Sterne-Frühstück: «Und im Trois Rois scheint die Zeit - trotz kürzlicher Totalrenovation - tatsächlich ein wenig still zu stehen. An einem Fensterplatz kommt fast so was wie Titanic-Feeling auf, wenn beim Gespräch Rhein und Zeit vorbeiziehen. Nur It-Girls und Glam-People sind nicht an Bord - man sitzt praktisch in der Business-Class und nach neun fast allein im Raum.»

Er hat dann auch noch eine kleine Anekdote dazu verfasst: «Der Kellner ist nicht unfehlbar, aber dafür sehr humorvoll: Als er nach der Zimmernummer fragt, gebe ich ihm irgendeine an. Er notiert, dankt und geht. Als ich ihn aufkläre, dass wir auswärtige Gäste seien, lacht er und bedankt sich nochmals. Das komme fast wöchentlich vor - nur, dass es die Leute im Gegensatz zu uns dann auch durchziehen. Was gibt es nur für Arschlöcher auf dieser Welt?» Das ist der Stil von Del Principe: sehr frisch von der Leber weg. Es gibt viele Idioten und Arschlöcher und ähnliches in seinen Texten.

Er erzählt, wie alles angefangen hat, von seinen Kollegen Patrick und Comenius. Wie sie zu dritt ihre Kollegen in der Werbeagentur nervten (sic!) mit ihrem Dauergesülze über das Kochen, Essen, Trinken, Kochen, Essen, Kochen, sich dabei fühlten wie Anonyme Alkoholiker - und so auf die Idee des Blogs kamen, www.anonymekoeche.net. Patrick und Comenius sind nicht mehr dabei, doch das tut der Schreibwut und dem Kochwahn von Del Principe keinen Abbruch, wohl eher im Gegenteil. Er kocht tatsächlich, dauernd, und das ist eine der Qualitäten seiner Beschreibungen: er weiss, von was er schreibt. Unter den Hunderten oder Tausenden von Food-Blogs auf dem Internet ist das Werk von Del Principe einer der erfolgreichsten, auch besten. Komplett werbefrei, nur in eigener Sache wirbt der Werber, also für sein Buch.

Das kann man kaufen. Oder auch nicht. Sämtliche Stories im Buch sind auch auf dem Netz zu lesen, wer also sparen will, der kann es lassen. Doch es macht halt schon auch Spass, die Elaborate des Claudio Del P. in gedruckter Form in der Hand zu halten - es ist eines dieser Werke, die sich bestens als Toiletten-Lektüre eignen. Man kann es immer wieder aufschlagen, hier, dort, sich amüsieren. Oder nerven. Meine Gäste scheinen es zu mögen, schon manch eine «Sitzung» dauerte länger als unbedingt nötig. Und nachher gab es dann so einiges zu plaudern - ein höheres Lob kann einem Buch kaum gemacht werden.

Ach, er ist charmant, der Claudio. Und höflich. Und gut erzogen. Und belesen. Und klug. Eigentlich wollten wir beim Kaffee im «Trois Rois» ja über sein Buch reden, warum überhaupt ein Buch (er wurde angefragt vom Verlag), hat es Erfolg (ja), ist er stolz darauf (ja), wird daraus eine ganze Reihe (schön wär's), doch wir schweifen immer wieder ab, reden über Metzger, Côte de Boeuf, Espressi, den Petermann, die Grandits, die Abruzzen. Er hat immer etwas zu sagen, der Schreibwütige und Kochwahnsinnige, und es hat immer Hand und Fuss. Wir wollten ihn auch auf die glatte, nervige Petersilie ansprechen, doch das haben wir dann glatt vergessen.

Kurz bevor wir Del Principe trafen, hatte er auf www.anonymekoeche.net die Hosen runtergelassen. Auf seinem Blog über «10 ganz, ganz schlimme Dinge, die ich mir tatsächlich selten bis oft antue» geschrieben. Also: «1. Mc Donald‘s. 2. Löslicher Kaffee oder Plörre aus dubiosen Kaffee-Automaten. 3. IKEA Restaurant.
4. Beutelsuppe.
5. Scheiblettenkäse. 6. Beutelsalat.
7. Kartoffelstock aus der Packung. 8. Ofen-Frittes.
9. Mayonnaise aus der Tube. 10. Cola Light oder Zero.» Er war dann fast so ein bisschen nervös, als er uns um einen Kommentar bat. Den mussten wir ihm verweigern, mit «Kartoffelstock aus der Packung»-Fressern ist ja nicht zu diskutieren. Zumindest nicht über soche Themen. Da nützt auch der schönste italienische Anzug nichts. Wie schon geschrieben, manchmal nervt er, der Del Principe. Und doch lesen wir seinen Blog immer wieder mit Genuss, Freude, einem Lächeln im Gesicht. Und sein Buch auch.

Buch:
Claudio Del Principe, Anonyme Köche, Gräfe und Unzer, München, 2009, 35 Franken.

PS: Anscheinend hat dem Herrn Del Principe unsere Buchbesprechung, die wir schon einmal veröffentlicht hatten, einst, nicht besonders gefallen. Ansonsten hat er jeden Zweizeiler über sein Buch aufgenommen unter http://www.anonymekoeche.net, doch dies Ding nicht. Egal, wir lesen ihn trotzdem mit Freud'.

Grundlagen der mexikanischen Küche (7): Vom Trinken zum Essen



Weil mexikanisches Essen entweder höllisch scharf sei oder auch schwer, weil mit Käse überbacken, müsse sich der Mensch ausgiebigst dem Bier und dem Tequila hingeben, um die Verdauung zu unterstützen. Das ist zwar eine verbreitete Vorstellung zum mexikanischen Trinkgebaren - aber eine Schnapsidee.

Vieles ist im Zusammenhang mit den mexikanischen Trinkgewohnheiten im Laufe der Geschichte falsch verstanden worden. Am bekanntesten ist das Missverständnis mit dem Corona-Bier, das in unseren Breitengraden auch heute noch mit einem Schnitz Zitrone serviert wird. Die Amerikaner gehen manchmal sogar so weit, dass sie ein Stück Zitrone durch den engen Flaschenhals pressen. Zu dieser Unsitte kam es, weil das Corona vor vielen Jahren in Mexiko tatsächlich mit einer Limone serviert wurde. Dies, weil damals die Flaschendeckel rosteten und man diesen Rost am einfachsten mit dem Saft der Limonen entfernen konnte.

Noch tiefer verwurzelt ist der Irrglaube mit dem Wurm in der Mezcal-Flasche. Dieser Wurm ist zunächst einmal gar kein Wurm, sondern eine Raupe. Und in einer anständigen Flasche Mezcal, wie sie der Mexikaner trinkt, wird sich nie eine Raupe befinden. Das bleibt dem Schund, den man den Touristen vorsetzt, vorbehalten.



Bis zum 19. Jahrhundert war Mezcal das liebste Getränk der mexikanischen Oberschicht. Die Reichen liebten den Saft der Agave, verehrten die besten Brenner und zahlten ihnen hohe Löhne, Doch dann kam der Tequila, eine Abwandlung des Mezcals aus der Region Jalisco, mehr und mehr auf, und der Abstieg des Mezcals begann. Verstärkt wurde der Niedergang durch den Import anderer Destillate aus aller Welt. Am Ende dieser Entwicklung war der Mezcal nur noch ein billiger, im Rachen brennender Schnaps, dem ein berühmtes Sprichwort wenig Ehre antat: «Um dich zu betrinken, nimm Tequila - um zu vergessen, trink Mezcal.»

Die Herstellung von Mezcal ist schwierig und zeitraubend. Die Agave, von den Mexikanern Mangey genannt, gehört zur Aloe-Familie und braucht zwölf Jahre, bis sie reif ist. Dann produziert sie eine riesige Blume. Deren Blüte wird sechs Monate vor der Ernte abgeschnitten, damit der ganze Saft in der Wurzel bleibt. Diese Wurzel, die bis zu 60 Kilo schwer werden kann, wird zuerst drei Tage in einem grossen Ofen geröstet und danach für einige Tage an die Sonne gelegt. Der Mezcalero weiss dann genau, wann die Agave in der Mühle zu einem Fruchtfleischmus verarbeitet werden kann. Dies geschieht auch heute noch, indem ein Maultier einen Mühlstein über die ausgebreiteten Agavenwurzeln zerrt. Das Mus muss nun zwei Wochen lang fermentieren, bevor es in Kupferbehältern in zwei Schritten destilliert wird.

Die edelsten Destillate lassen sich durchaus mit einem guten Cognac vergleichen und kosten denn auch entsprechend viel. Im Gegensatz zum Mezcal wird der doch profanere Tequila nur aus einer einzigen Agavenart gewonnen, der blauen Agave Tequilana Weber (von der anscheinend nicht mehr genügend nachwächst).

Den gewöhnlichen weissen Tequila wird man hauptsächlich in Mixgetränken - selbstverständlich für die berühmte und zu Recht auch berüchtigte Margarita - verwenden. Die dunkleren Varianten, die bis zu acht Jahre gelagert wurden, trinkt man pur. Und pur heisst: ohne etwas dazu. Das eigenartige Gebaren mit dem Salz auf dem Handrücken und der Zitrone in der anderen Hand wird man in Mexiko nur bei Touristen sehen. (Aber auf den Tequila werden wir dann noch genauer eingehen.)

Aus der Agave werden ausserdem auch noch andere Getränke gewonnen wie die Baconara im Teilstaat Sonora, Charanda in Michoacan und Comiteco in Chiapas. Am bekanntesten in aber sicher Pulque, ein weissliches, ziemlich übel riechendes Getränk, das ausser den Mexikanern niemand auf der Welt zu schätzen scheint. Der bekannteste Pulque kommt aus der Gegend von Apam. Der unglückliche Kaiser Maximilian liebte dieses Getränk und versetzte es gern mit Champagner zu einer Art aztekischem Kir Royal.

Zwar dehnt sich Mexiko über 14 Klimazonen aus, doch darunter ist keine einzige, die dem Anbau von Wein förderlich wäre. Trotzdem gibt es natürlich auch mexikanischen Wein. Darauf kann man freilich gut verzichten. Das wussten wohl schon die spanischen Konquistadoren, denn sie hatten die Anpflanzung von Reben in ihren Kolonien während Jahrhunderten verboten. In Guerrero gibt es trotzdem einen ganz guten Traubensaft, genannt Sangre de Baco, Blut des Bacchus. Das heisst nun aber nicht, dass man zu einem guten mexikanischen Essen keinen Wein trinken kann - ein junger Pinot noir kann mit seiner Fruchtigkeit ein guter Begleiter sein.

Am besten verbleibt man aber schon bei den einheimischen Trinkgewohnheiten. In den bergigen Gegenden von Chihuahua und Nyarit wird ein fermentiertes Maisgetränk gereicht, das mit rohem Zuckergemischt wird und Teshuin heisst. Jalisco kennt neben dem Tequila auch noch Tepache, eine Art Ananassaft. An der Küste in Colima und Guerrero trinkt man gern die aus Kokosnuss gewonnene Tuba. Oder man hält es doch ganz klassisch mit dem Bier - Carta Blanca oder XX oder Corona. Letzteres unbedingt ohne Limone.

Viel Durch-, aber keine Übersicht




Und wieder ein Problem. Ich habe schlicht und einfach keinen Platz mehr. Die Küchenschränke sind eh schon voll, im wunderbaren alten Apothekerkasten ist auch keine Ecke mehr frei, und im Keller, naja, da wird es auch langsam eng. Und trotzdem: Ich muss diese Champagnergläser haben. Ich muss. Sie sind so wunderschön. Ich habe zwar schon zwölf Champagnergläser, die sind auch wunderschön. Und nochmals sechs, von denen ich mich nicht trennen kann, weil sie nicht wunderschön sind, aber ein Teil einer langen Geschichte.

Ich habe diesen Gläser-Tick. Und weil meine Gattin auch einen Gläser-Tick hat, haben wir dieses Platzproblem. Als wir vor vielen Jahren zusammengezogen sind, da hatten wir zusammen eine Glas-Aussteuer, die hätte jedem anständigen Restaurant zur Ehre gereicht. Unterdessen ist es aber nicht besser geworden: Ich nehme von fast jeder Reise mindestens ein Glas mit, ich habe diese Macke für Whisky-, Cognac-, Tequila- und Grappa-Gläser. Und Bier-Humpen. Und diese alten Kristall-Gläser aus Osteuropa. Und für Martini-Gläser.

Bei den Tequila-Gläsern, um nur ein Beispiel zu nennen, da besitze ich vielleicht 20 Stück. Jedes ist anders, jedes ein Einzelstück; manche sind auch gar nicht aus Glas, sondern aus Keramik. Oder sogar Holz. Es ist nicht so, dass ich besonders viel Tequila trinke, nein, aber die Gläser sind so hübsch. Manche farbig, manche ganz klassisch, gross, klein. Und manchmal sitze ich einfach, trinke gar keinen Tequila, aber versuche mich zu erinnern, wo genau ich dieses oder jenes Glas gekauft habe.

Am schlimmsten ist es aber mit den Wein-Gläsern. Irgendwann, vor vielen Jahren, habe ich gelernt, dass tatsächlich einen Unterschied macht, wenn ich den Weisswein aus Weissweingläsern trinke und den Rotwein aus Rotweingläsern. Damals konnte ich allerdings den Merlot noch knapp vom Chardonnay unterscheiden. Heute ist das ein bisschen anders, und weil ich ja eben diesen Gläser-Tick habe, nun, so besitze ich halt nun Bordeaux-Gläser und Burgunder-Gläser. Und auch noch sechs für Pinot Noir, weil ich diese Pinot Noir so liebe. Und nochmals sechs für den Riesling, den ich so gerne mag. Und irgendwo, weiter hinten, kaum mehr gebraucht, stehen noch sechs für Chardonnay. Aber Chardonnay trinke ich nur noch selten. Dann habe ich noch die Weiss- und Rotwein-Gläser für jeden Tag sowie die etwas teureren, ebenfalls von diesem bekannten Tiroler Glasmacher, für festliche Anlässe. Und dann noch so ein paar Einzelstücke, Geschenke, Gläser, deren Form mich faszinierte. Und solche, die ich einfach haben wollte.

Bloss, jetzt, was mache ich mit diesen Champagnergläsern?


Speis und Trank, 2.1.2011




Frühstück (daheim):
aufgebackene Brötchen, Butter, verschiedene Konfitüren.
Tee, Earl Grey.

Mittagessen (daheim):
nix. weil kränkelnd.

Nachtessen (daheim):
Rindsvoressen, Papardelle. ach, ich liebe meine Sauce, zweieinhalb Stunden gesimmert, das ist hervorragend.
Rotwein: Bauza, 2007

Sonntag, 2. Januar 2011

Kulinarische Vorsätze 2011




Und das habe ich mir - gastronomisch - für 2011 vorgenommen:
- endlich lernen, wie ich Eiweiss von Eigelb trenne. Und dann endlich mal selber einen Kuchen backen.
- und endlich das Vorhaben umsetzen, jede Woche ein anderes Rezept für ein besonderes Brot auszuprobieren.
- ein paar eigene Ceviche-Rezepte kreieren.
- Hackbraten-Rezepte sammeln. Und die besten Adressen für ausgezeichnete Würste.
- eigene Chilis züchten. Den Kräutergarten besser pflegen.
- im Hotel «Kaiserstock» in Riemenstalden essen, dort übernachten, und am nächsten Tag ins Muotatal wandern. Und dann dort im «Adler» in Ried die besten Wildgerichte der Schweiz geniessen.
- mindestens drei Mal eine Metzgete im Aargau heimsuchen. Die Aargauer machen das am besten. Sie dürfen das auch noch.
- wieder einmal bei Marc Meneau essen gehen. Besser zwei Mal.
- mal wieder bei den Arzaks in San Sebastian essen gehen. Überhaupt mal wieder nach San Sebastian reisen und dort meine Kollegen aus diesen wunderbaren Koch-Clubs besuchen.
- häufiger bei Werni Schürch im «Emmenhof» in Burgdorf essen.
- der deutschen Küche eine faire Chance geben.
- nicht mehr so viele Kochbücher kaufen.
- einmal pro Woche ein Gericht aus all diesen vielen Kochbüchern ausprobieren.
- mir die Namen der Weine zu merken, die ich mag. Vor allem jene dieser wunderbaren alten Burgunder.
- am Morgen höchstens zehn Espressi trinken. Und das ohne Zucker.
- meinen Kindern beibringen, dass es noch anderes gibt als nur «Nudeli». Das erscheint mir allerdings ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen.
- wieder häufiger für Gäste kochen. Drei Gänge und mehr. Oder komplette Thai-Menus.
- auch mal einen Fisch grillieren, nicht immer nur Fleischberge.
- jeden Tag einen Apfel essen.
- weiterhin nie bei McDonald's oder Burger King essen.
- weiterhin nie eine Kochsendung am Fernsehen anschauen.
- noch mehr auf regionale Produkte achten. Mindestens einmal die Woche einen Markt in der Umgebung aufsuchen.
- einmal pro Woche ein mir noch unbekanntes Restaurant ausprobieren. zum Beispiel die «Bib Gourmand»-Dinger aus dem Guide Michelin, das sind grad so etwa 50. wobei, ein paar kenn ich schon.
- einmal die Woche Brühe kochen. Morgen damit anfangen.

Speis und Trank, 1.1.2011




Frühstück (auswärts, bei Kollegen):
grosses Frühstücksbuffet, mit allem, Fleischplatte, Käseplatte, frischer Zopf und anderes Brot, diverse Konfitüren, Honig, Milchkaffee.

Mittagessen (auswärts, bei Schwiegermuttern):
Nudeln mit selbstgemachtem Ragu (aus dem Tiefkühler). musste schnell gehen.
Champagne Pommery, zum Anstossen auf das neue Jahr, Wasser.

Nachtessen (daheim):
mein ganz schnelles Kalbsgeschnetzeltes, Spätzli, grüner Salat
Rotwein: Spina di Bacco
Wasser.


Grundlagen der mexikanischen Küche (6): Cacahuacuauhuitl?



Wir kennen die Azteken, und wir wissen auch dieses und jenes über die Maya. Zum Beispiel, dass es ein Handelskanu ebendieser Maya war, auf dem Kolumbus bei seiner vierten Expedition 1502 zum erstan Mal Kakaobohnen vorfand. Doch es waren gemäss neusten Forschungen weder die Maya noch die Azteken, welche als Erste Kakao anbauten. Die weniger bekannten Olmeken waren es, die um 1500 v.Chr. im feuchten Tiefland der mexikanischen Golfküste, im südlichen Veracruz und Tabasco siedelten und uns neben kolossalen Steinköpfen auch jene Pflanze hinterliessen, aus dem Kakao gewonnen wird. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné taufte sie 1753 auf den Namen Theobroma cacao. Die Azteken hatte den Baum Cacahuacuauhuitl genannt. «Theobroma» kommt aus dem Griechischen und bedeutet Speise der Götter, doch «cacao» scheint ein Lehnwort aus der mittelamerikanischen Mixe-Zoque-Sprache zu sein und keine weitere Bedeutung zu besitzen.

Der Kakao hatte hingegen schon eine gewisse Bedeutung, wie Kolumbus und seine mannschaft an jenem 15. August 1502 beim Aufgreifen jenes Maya-Kanus schnell realisierten. Ferdinand, der zweite Sohn von Kolumbus, schrieb in einem erst 1571 in Venezuella veröffentlichen Bericht folgendes: «Zu den Nahrungsmitteln, die sie mit sich führten, zählten (...) viele von diesen Mandeln, welche in Neuspanien (Mexiko) als Geld benutzt werden. Diese mandeln schienen ihnen viel wert zu sein, denn als sie mit ihren Gütern zusammen an Bord gebracht wurden, beobachtete ich, dass sie, sobald eine dieser Mandeln auf den boden fiel, sich allesamt hinabbeugten, um sie aufzuheben, als ob ein Auge heruntergefallen wäre.» Dass diese «Mandeln» Kakaobohnen waren, merkten die Spanier schnell. Sie schickten einige davon nach hause, wo aber niemend etwas damit anfangen konnte, weil sie abscheulich bitter schmeckten.

1519 kostete aber Hernan Cortez erstmals Schokolade, wie sie die Azteken aus den Kakaobohnen zubereiteten - sowohl als Getränk, aber auch als Paste. Diese dürfte wohl mit unseren heutigen Schokoladetafeln vergleichbar sein. Schliesslich wurde auch eine Suppe zubereitet, vielleicht eine Urform der heutigen Mole oder gar eine Mischung aus Schokolade und Chilis. Cortez schickte nun nicht nur die Kakaobohnen, sondern auch die Rezepte nach Spanien, wo man die gerösteten und gemahlenen Bohnen presste und mit dem damals ebenfalls erst gerade entdeckten Rohzucker vermischte. Der Erfolg war durchschlagend. Eines der ersten «Opfer» war Maria Theresia, die spanische Gemahlin von Ludwig XIV. Sie büsste ihren übermässigen Schokoladegenuss mit dem Totalverlust ihrer Zähne.

Die moderne mexikanische Küche verdankt der Schokolade einiges ihres weltweit nicht sonderlich guten Rufes, weil nicht übermässig gut informierte Schreiber den Mexikanern die abenteuerlichsten Schoggi-Gerichte andichteten. Dazu gehörten Spiegeleier «Mecicatl» mit flüssiger Schokolade, die gleichfalls so verfeinerte Dorade «Yucatan» sowie mit Schokolade gefüllten Zwiebeln «Santa Rosa». Diese Gerichte gibts aber nicht. Zwar kann ein kleines Stück Schokolade der bekannten Mole hin und wieder zugefügt werden, die bekannten Rezepte und die guten Restaurants verzichten aber darauf.

Als Getränk - fast ausschliesslich mit Wasser und nicht mit Milch zubereitet - ist die Schokolade in Mexiko aber sehr geschätzt. Das gilt auch für die beliebte Atole, eine Art Mais-Saft. Dieser wird gerne mit Schokolade versetzt und heisst dann Champurrado. Und dann gibt es - trotz einer nicht sehr ausgeprägten Dessert-Kultur - manch einen Nachtisch auf Basis oder mit Schokolade, denn die Mexikaner lieben Süsses (das für den mitteleuropäischen Geschmack definitiv zu süss ist). Natürlich unterscheidet sich die mexikanische Schokolade deutlich von unseren so feinen einheimischen Produkten. Doch das wollen wir den Mexikanern nachsehen, haben sie uns doch mit dem Cacahuacuauhuitl die Grundlage für eine ganze Industrie beschert.

Samstag, 1. Januar 2011

Grundlagen der mexikanischen Küche (5): Scharf ist, was zwei Mal brennt



Wie man weiss, segelte Kolumbus nicht als Tourist oder gar als Sportsfreund gen Westen. Der genuesische Navigator war vielmehr vom Gedanken beseelt, schnell viel Geld zu machen. Er war deshalb froh, dass er schon in der Karibik Völker vorfand, die ihre Speisen würzten. Mit Gewürzen, das wusste der Seemann, konnte man ein Vermögen verdienen. Leider war es kein Pfeffer, pimienta, den die Einheimischen gebrauchten, doch scharf war das Zeug auf jeden Fall. Also nannte es Kolumbus pimiento und brachte es wohl schon von seiner ersten Reise mit zurück nach Europa.

In Mexiko kennt man Chilis schon seit 10'000 Jahren. Kultiviert werden die zu den Nachtschattengewächsen gehörenden Chilis seit 3500 v. Chr. Man unterscheidet fünf Arten. Davon sind Capsicum annum, Capsicum frutescens und Capsicum chinense die wichtigsten. Chemisch ist für die Schärfe von Chilis eine Reihe von Verbindungen verantwortlich, die - abgeleitet vom botanischen Oberbegriff Capsicum - als Capsaicinoide bezeichnet werden.

Capsaicin selbst ist farblos und - bis eben auf die Schärfe - auch geschmacklos. Ausserdem ist es ziemlich beständig. Es wird weder durch das Erhitzen beim Kochen noch durch Erfrieren zerstört. Isoliert präsentiert es sich als weisses Pulver, das in Alkohol, nicht aber in Wasser löslich ist. Darum hilft es wenig, gegen zu scharfe Chili-Speisen Wasser zu trinken. Dass ein kühles Bier helfen sollte, ist allerdings nur ein Gerücht. Das «Brennen» beim Kontakt mit Capsaicin ist sozusagen eine thermische Täuschung: Es kommt durch Einwirkung auf jene Nervenenden zustande, die unter normalen Umständen den Wärmereiz aufnehmen. Da Capsaicin im Gegensatz zu den scharfen Verbindungen von schwarzem Pfeffer oder Ingwer zu einer relativ lang anhaltenden Desensibilisierung dieser Nerven führt, vertragen regelmässige Chilikonsumenten schärfer gewürzte Speisen.

Die Schärfe von Chilis ist, so die Wissenschaft, eigentlich nichts als Notwehr. Der Scharfstoff Capsaicin soll Säugetiere abschrecken, da diese die Samen der Schoten verdauen können und so das Saatgut zerstören. Anders verhält es sich bei den Vögeln. Sie sind für die Verbreitung der Samen verantwortlich. Da dem Federvieh der Rezeptor für Capsaicin fehlt, nimmt er beim Fressen den brennenden Schmerz nicht wahr. Das Capsaicin entfaltet deshalb seine Wirkung erst im Darm der Vögel. Dort wirkt es als Abführmittel und sorgt so für eine beschleunigte Freigabe der noch intakten Samen.

Bei manchen Exemplaren der Spezies Homo sapiens sapiens funktioniert die Strategie der Chilischote allerdings nicht. Viele Menschen  lieben - wider die Natur - scharfe Chili-Gerichte. Auch diese Vorliebe hat biochemische Gründe: Schärfe ist neurologisch betrachtet eine Schmerzempfindung. Auf starke Schmerzen reagiert der Organismus vielfach mit der Bildung körpereigener Opiate, der sogenannten Endorphine. Diese lindern den Schmerz und euphorisieren zugleich. Beim häufigen Verzehr sehr scharfer Speisen erfolgt die Ausschüttung von Endorphinen schliesslich so schnell, dass die Schmerzempfindung unterdrückt wird. Der gut trainierte Esser kann so die Aufhellung seiner Stimmung ungestört geniessen.

Es ist schwierig, die Schärfe eines Chilis objektiv anzugeben. Abgesehen davon, dass auch die Früchte einer Sorte in ihrer Schärfe unterschiedlich sein können, werden die Capsaicine von den Menschen unterschiedlich in ihrer Schärfe beurteilt. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Schärfe zu definieren: in Schärfegraden oder in Scoville-Einheiten. Der Schärfegrad eines Chilis ist demnach eine Zahl zwischen 0 (ungarische Gemüsepaprika) und 10 (Habaneros). Die Zuordnung erfolgt subjektiv. Die Scoville-Einheiten wurden 1912 vom amerikanischen Pharmakologen Wilbur Scoville entwickelt. In seinem ursprünglichn Test wurden Chilis püriert und das Capsaicin mit Alkohol ausgelöst. Die Mischung verdünnte Scoville mit einer Zuckerlösung so lange, bis die Testpersonen keine Schärfe mehr wahrnehmen konnten. Dieser Test hat allerdings den Nachteil, dass er nicht reproduzierbare Ergebnisse zeigte. Dies, weil die Testpersonen einen unterschiedlich stark ausgebildeten Geschmackssinn haben. Heute misst man die Anzahl der Scoville-Einheiten eines Chilis mit Hilfe der Hochdruck-Flüssigkeitschromatographie.

Eine der Schwierigkeiten der mexikanischen Küche besteht darin, die genau richtige Anzahl der richtigen Chilis für das richtige Gericht einzusetzen. Das ist deshalb so kompliziert, weil es für die gleiche Sorte eine Menge wohlklingender Namen gibt. So wird beispielsweise der allseits geliebte Jalapeño auch Acorchado, Bola, Bolita, Candelarie, Cuaresmeño, Gorda, Huachinango, Jarocho, Mora und Morito genannt. Dazu kommt, dass frische, getrocknetee und geräucherte Chilis derselben Sorte mit einer Unzahl von wiederum neuen Namen bezeichnet wird.

Speis und Trank, 31.12.2010




Frühstück:
nix

Mittagessen (daheim):
Nudeln mit so einer selbstgebastelten Rahm-Kräuter-Sauce. musste schnell gehen.



Nachtessen (die grosse Sylvester-Party bei Kollegen):
Häppchen, mit Gänseleber (oh, ja!) und Reh-Terrine
mein Thai-Fisch-Süppchen (so eine Art Rezept gibt es dann noch)
Kalbs-Kotelett aus dem Ofen, niedergegart, Nudeln, eine Art Caponata
Mandarinen-Creme-Torte
Weisswein: Jeninser, Pinot Gris, 2008 (von Obrecht)
Rotweine: Mondavi, Cabernet Sauvignon, Reserve 2004. und: Pahlmeyer 2005



abends (wann denn?):
ein übler Champagner. grauenhaft.